Fotos: Tim Müller und Tino Schmitt


Das Wissen dafür erlangten die beiden Sozialpädagogen bei Prof. Dr. Hanns Rüdiger Röttgers im MIA-Seminar. Wie erfolgreich sie waren, erzählt Müller im Interview.

Sie hatten im Vorfeld Spielzeug an unserer Hochschule und in einer Kita gesammelt. Kam es zum Einsatz?

Ja, und ArcheMed, die Hilfsorganisation, die uns um fachliche Unterstützung für Familien mit autistischen Kindern in Eritrea gebeten hatte, berichtete uns, dass die Sachen auch jetzt noch genutzt werden. Wir haben das sehr unterschiedliche Spielzeug ganz individuell für das Training mit den Kindern eingesetzt.

 

Die ersten sieben Tage aber waren gefüllt mit einer Theorieschulung für die Trainer. Erst danach konnten Tino und ich in die Supervision der praktischen Arbeit gehen. In dieser Phase haben wir je zwei Autismustrainer pro Tag betreut und ihnen so das praktische Handwerkszeug von Autismusspezifischer Verhaltenstherapie (AVT) beigebracht. Insgesamt haben wir acht Therapeuten ausgebildet, die ihr Wissen danach wiederum weiteren Therapeuten im Land vermitteln. Die Organisation hatte zwar schon Vorträge über Autismus gehört und Möglichkeiten zur Intervention kennengelernt. Aber die praktischen Übungen waren neu für die Trainer, sie konnten erstmalig sehen, wie AVT funktioniert und dass die Erfolge sichtbar sind. Das hat große Euphorie ausgelöst. Die Trainer arbeiten weiter mit den Kindern und haben mir, über andere Helfer von ArcheMed, einen USB-Stick mit Videos zukommen lassen, die ich für sie auswerten soll, um weiter Hilfestellung zu geben. Der Start war zwar sehr holprig, auch weil wir uns auf diese völlig andere Situation einstellen mussten. Aber es hat sich gelohnt durchzuhalten und die Menschen und ihre Geschichten kennenzulernen.

 

Welche Eindrücke haben Sie mit nach Hause genommen?

Uns ist bewusst geworden worden, wie gut es uns geht. In Eritrea herrscht überall Knappheit: an Essen, an Rohstoffen und Elektrizität. Restaurants fehlt es an Zutaten für Gerichte, viele Häuser sind baufällig, das Elektrizitätswerk kann nicht das ganze Land dauerhaft mit Strom versorgen. Ohne Strom aber keine PowerPoint-Präsentation in der Theorieschulung und keine Auswertung der Videoaufzeichnungen in den wöchentlichen Teamsitzungen.

Auch mussten wir flexibel sein, denn es gab häufig Probleme in der Absprache. Mal eben anrufen, "Wo bleibt ihr denn?", wie wir es von hier gewohnt sind, ging leider oft nicht, weil es für Ausländer fast unmöglich ist, an eine Sim-Karte zu kommen. So konnten sich die Trainer oder die Eltern der Kinder auch nicht kurzfristig abmelden, wenn etwas dazwischen gekommen ist, manche Förderstunde fiel dann aus. Aber es ist nicht nur der Mangel, der das Leben dort schwierig macht, auch die Perspektivlosigkeit ist allgegenwärtig. Alle unserer Trainer hatten Abschlüsse an der örtlichen Universität, doch für die Absolventen zum Beispiel in Psychologie gibt es keine Jobs im Land. Einige Trainer würden gern einen Master machen, der wird aber nicht angeboten, und ins Ausland dürfen sie nicht. Einer unserer Trainer hat ein Stipendium für einen Masterstudiengang an einer Uni in Schweden, doch er darf nicht ausreisen. Zahlreiche solcher Beispiele haben uns vorgeführt, wie dankbar wir sein können. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit muss ich daran denken. Die Hälfte der Menschen dort sind Christen, sie feiern aber Weihnachten anders als wir, schwelgen nicht in diesem Überfluss - im Mittelpunkt steht der familiäre Zusammenhalt.

 

 

Was machen Sie zurzeit?

Ich studiere im Master "Clinical Casework" an unserem Fachbereich. Außerdem bin ich hier wissenschaftlicher Mitarbeiter und begleite das MIA-Seminar. MIA steht für "Münsteraner Intensivprogramm für Kinder mit Autismus-Spektrums-Störungen", in dem Studierende  ausgebildet werden, verhaltenstherapeutisch mit diesen Kindern zu arbeiten. Über das Seminar war übrigens auch der Kontakt zu ArcheMed zustande gekommen, die Tino und mich gebeten haben, nach Eritrea zu kommen. Und Tino studiert an der RWTH Aachen im Masterstudiengang Empirische Bildungsforschung.

 

Zum Thema: MIA ist das einzige hochschulgestützte Angebot in wissenschaftlich fundierter Autismustherapie in Deutschland. Das Seminar ist in erster Linie ein Praxis- und Theorieprojekt für Studierende des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit. Es gibt aber auch Psychologie- und Lehramtsstudierende, die ihre Praktikumsleistungen hier erbringen. Das Seminar ist in zwei Themenschwerpunkte unterteilt. Im Wintersemester erhalten Studierende und die Eltern autistischer Kinder einen theoretischen Einblick in die verhaltenstherapeutische Arbeit. Im Sommersemester startet dann der praktische Teil. Vier- bis sechsköpfige Studierendenteams arbeiten mit den Kindern verhaltenstherapeutisch, im Schnitt 15 Stunden pro Woche. Die Qualität der Arbeit gewährleisten regelmäßige Teamtreffen mit Supervisoren.

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