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Expertin für Immissionsschutz zur Grenzwert-Debatte: „Auch das Lebensmittel Luft sollte bestmöglich überwacht und geschützt werden!“

In der Debatte um Fahrverbote und Diesel ist ein Streit entbrannt: Es geht um den Grenzwert für Stickstoffdioxid. Dieser ist gesetzlich von der EU vorgeschrieben, aber ein Bündnis aus Lungenärzten zweifelt an seinem wissenschaftlichen Gehalt. Das Forum der Internationalen Lungengesellschaften (FIRS) hingegen stimmt den Standards zu. Was wird da eigentlich diskutiert? Prof. Dr. Isabelle Franzen-Reuter ist Immissionsschutzexpertin an unserem Fachbereich Energie – Gebäude – Umwelt und wartet mit Hintergrundwissen zur Debatte auf.

Frau Prof. Franzen-Reuter, was hat es mit den Grenzwerten auf sich?

Es gibt für ganz viele Schadstoffe Grenzwerte – und nicht nur für Schadstoffe in der Luft, sondern auch in Wasser und Lebensmitteln. Populär ist ja auch der Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter in unserem Trinkwasser. Das Vorgehen, durch die Politik Grenzwerte zu setzen, ist seit Jahrzehnten etabliert. Die Grenzwerte werden regelmäßig wissenschaftlich überprüft und EU-weit abgeglichen, sie sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen.

 

Woher stammen denn die Grenzwerte?

Den Luftqualitätsgrenzwert für Stickstoffdioxid, kurz NO2, hat die EU 2008 eingeführt auf Basis einer Empfehlung, die die WHO schon zehn Jahre vorher ausgesprochen hatte. Die WHO hat eine ausführliche Metaanalyse etlicher Studien zu den gesundheitlichen Wirkungen von Stickoxiden durchführen lassen. Es gibt mittlerweile hunderte von Studien, zum Beispiel mit Tierversuchen oder Zellkulturen, in denen Schädigungen von Zellen des Atemtrakts durch hohe NO2-Konzentrationen nachgewiesen sind. Und auch Beobachtungsstudien, sogenannte epidemiologische Untersuchungen, bei denen viele Menschen mit unterschiedlichen Lebensorten auf gesundheitliche Wirkungen untersucht wurden, wie Asthma oder Bronchitis. Die WHO hat versucht, daraus einen Schwellenwert abzuleiten – also einen Konzentrationswert zu finden, unter dem man nicht mit gesundheitlichen Auswirkungen rechnen muss.

 

Hat das geklappt?

Ein Schwellenwert für NO2 ist nicht bekannt, weil die bei den epidemiologischen Untersuchungen gefundenen Wirkungen nicht nur auf Stickoxide zurückgeführt werden können, sondern auch im Zusammenhang mit anderen Emissionen im Straßenverkehr stehen, wie Benzol oder Ruß. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Schadstoffe. Trotzdem ist schlechte Luft ein Risikofaktor, und dem sind alle Menschen ausgesetzt – Säuglinge, Schwangere, Erkrankte, Asthmatiker. Der Risikofaktor Luftverschmutzung ist also unfreiwillig, im Gegensatz zum Rauchen beispielweise. Aus den vielen Studienergebnissen wurde deshalb eine Grenzwert-Empfehlung abgeleitet unter Beachtung des Vorsorgeprinzips. Auch das Lebensmittel Luft sollte bestmöglich überwacht und geschützt werden!

 

Was für ein Wert wird in der Debatte um Stickoxide jetzt genau angezweifelt?

Man muss zwischen zwei verschiedenen Grenzwerten unterscheiden, die in der Diskussion oft durcheinandergeraten. Erstens den Jahresmittelwert, der aktuell bei 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft liegt. Sie müssen sich das so vorstellen: In Deutschland gibt es ungefähr 650 Messstationen, auch an sehr verkehrsbelasteten Stellen, die die Schadstoffkonzentrationen in unserer Luft messen. Aus den Einzelwerten wird für jedes Jahr ein Mittelwert für jede Station berechnet. In Städten, wo der Grenzwert für das Jahresmittel überschritten wurde, drohen nun Fahrverbote. Münster hält diesen Grenzwert mittlerweile übrigens ein.

 

Welcher ist der andere Grenzwert?

Das ist der Stundenmittelwert, er liegt bei 200 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft. Alle aufgezeichneten Werte innerhalb einer Stunde werden dabei gemittelt. Das zeigt schon: Kurzfristig ist es erlaubt, dass auch höhere Konzentrationen auftreten. Aber eben nur kurzfristig, um vor akuten gesundheitlichen Wirkungen zu schützen. Der Jahresmittelwert hingegen hat eine langfristige Wirkung im Blick. Wenn man über viele Jahre dem Schadstoff ausgesetzt ist, kann das Bronchitis, Asthma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verstärken oder begünstigen. Muss aber nicht.  

 

Wie gehört der Diesel jetzt in die Debatte?

Stickoxide beziehungsweise NOx – genauer gesagt Stickstoffmonoxid, NO, und Stickstoffdioxid, NO2 – entstehen bei Verbrennungsprozessen, also nicht nur beim Diesel, sondern auch beim Benziner. Aber der Diesel verbrennt bei höheren Temperaturen und mit mehr Sauerstoff, so wird die Bildung von NOx chemisch begünstigt. Bei Ottomotoren hat sich aufgrund der anderen Verbrennungstechnik seit vielen Jahren der Drei-Wege-Katalysator bewährt, der den NOx-Ausstoß um mehr als 90 Prozent mindern kann. Auch beim Diesel ist die Technik eigentlich ausgereift, so kann mittels Harnstofflösung der NOx-Ausstoß deutlich reduziert werden. Straßenbezogene Dieselfahrverbote, um die Konzentrationen einzelner Stationen mit ihren Jahresmittelwerten in den Griff zu bekommen, sind meiner Ansicht nach nicht im Sinne eines ganzheitlichen Immissionsschutzes. Denn die Autos fahren ja woanders lang …

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