Eine aus architektonischer Sicht zentrale Frage besteht in darin, in welchem Verhältnis Form und Funktion eines Gebäudes zueinander stehen. Die Architekturtheorie entwickelte zwei scheinbar diametrale Positionen der Formfindung. "form follows function" markierte, ausgehend von dem amerikanischen Architekten und Theoretiker Louis Sullivan, zum Ende des 19. Jahrhunderts die funktionale Notwendigkeit als Anlass und Ausdruck formaler Gebäudegestaltung. Die Architekten des neuen Bauens versuchten in der Blütezeit des Bauhauses mit diesem Slogan die Fesseln der eklektizistischen Stile zu überwinden. In Reaktion auf die architektonische Banalität von Kistenbauten versprachen sich viele Architekten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Ausweitung der gestalterischen Vielfalt und eine formale Dominanz ihrer Entwürfe durch das Motto "function follows form". Damit erfolgte ein "Hineinentwerfen" von Programmen und Prozessen in vorbestimmte Baugeometrien.

Beide Strategien sind zumindest für die hier verfolgte Fragestellung wandlungsfähiger Fabrikbauten wenig zielführend. Sie betrachten jeweils nur eindimensional ein Kriterium des komplexen Zusammenhangs von Umwelt, Mensch, Funktion und Form. Es stellt sich in einem Projekt oft die Frage, welche der gegenwärtigen Funktionen und Formen auf lange Sicht Bestand haben. Die Momentaufnahme eines temporären Produktionsprogramms oder die Modewelt eines kurzlebigen ästhetischen Zeitgeistes eignen sich wenig zur robusten Gestaltbestimmung. Gefragt sind daher gleichermaßen aus Prozess-Sicht (Funktion) wie aus Raum-Sicht (Form) entwickelte ganzheitliche Lösungsansätze.

Es kommt darauf an, eine bewusste positive Bündelung von Wesensmerkmalen mit vielen, möglichst sich ergänzenden Teilantworten auf komplexe Fragestellungen zu finden. Das Ergebnis einer solchen Lösungsfindung soll mit dem Begriff "performance" charakterisiert werden. Das hieraus abgeleitete Credo "form follows performance" beschreibt die umfassende Antwort der Formfindung auf eine ganzheitlich erfasste Fragestellung.(Rei05.1)

Die spezifische formale Ausprägung des Gebäudes ist dabei nicht im Voraus "gesetzt", sondern ergibt sich aus der räumlichen Lösung geforderter Leistungsmerkmale. Ausgehend von den jeweils zu Grunde liegenden Visionen sind, also z.B auch die Projektziele fördernden neue Bautechnologien zu nutzen, der Energieverbrauch zu optimieren und ökologische Belange zu beachten. Darüber hinaus ist die als notwen-dig erkannte Flexibilität in Form einer auf allen Gestaltungsebenen definierten Wandlungsfähigkeit zu sichern. Dabei ist die personale Kommunikation durch eine ent-sprechende Raumgestaltung und Ausstattung zu fördern. Insgesamt gilt es, durch den Industriebau einen erkennbaren Beitrag zur Unternehmenskultur und Identitäts-stiftung zu leisten.

Die "Leistungsfähigkeit" eines Gebäudes, also seine Fähigkeit, gegenwärtigen und zukünftigen Zwecken zu dienen, wird im Wesentlichen durch die Ausprägung der gewählten technischen und baukonstruktiven Lösungen im Zusammenspiel von Tragwerk, Hülle, Medien und Ausbau bestimmt. Dringlichstes Ziel der Gebäudeplanung ist daher die eingehende Diskussion und einvernehmliche Abstimmung umfassender Leistungsmerkmale mit allen Planungsbeteiligten.

Bild 1 illustriert die Methodik einer integrierten Variantendiskussion von Strukturmerkmalen aus Sicht der Prozesse und des umhüllenden Raums. Die jeweiligen Gestaltungselemente werden hierbei matrixartig zusammengetragen, Vorteile und Nachteile im Team bewertet.

 

Bild 1 Gestaltungsfelder eines Gebäudes

Wesentlich dabei ist die Unterscheidung der Veränderbarkeit der Strukturmerkmale im Vergleich zu der vermuteten Veränderung der Anforderungen. Hieraus ergibt sich nämlich die notwendige Wandlungsfähigkeit des Gebäudes, auf deren Definition und noch ausführlich einzugehen ist.

Das Tragwerk ist das zeitbeständigste und somit am schwersten veränderbare System einer Baustruktur. In der Regel ist es ausgelegt für die gesamte Nutzungsdauer des Gebäudes. Die Wahl der Tragstruktur hat großen Einfluss auf die langfristige Nutzbarkeit sowie auf die architektonische innere und äußere Gestalt. Ein gelungener architektonischer Entwurf integriert die Bedingungen des strukturellen Aufbaus, auch im Hinblick auf die Kosten, zu einem sinnvollen Ganzen.

Die Hülle grenzt einen geschützten Innenraum als eigenständigen klimatischen Bereich gegenüber dem Außenraum ab. Sie besteht aus unbeweglichen geschlossenen oder transparenten Elementen für Fassaden und Dächer sowie beweglichen Teilen wie Toren, Türen, Fenster oder Rauchabzugselemente. Insbesondere Aspekte der natürlichen Belichtung, Ausblick und Kommunikation bestimmen die langfristige Qualität und Wandlungsfähigkeit der Gebäudehülle.

Der Begriff Medien kennzeichnet die Gesamtheit aller für Produktionsprozesse, Nutzerbehaglichkeit und Gebäudesicherheit notwendigen Zentralen, Leitungswege und Anschlüsse. Insbesondere Aspekte der Modularität, Nachrüstbarkeit, aber auch einfache Erreichbarkeit zu Wartungszwecken prägen den Grad der Wandlungsfähigkeit von Medien.

Unter Ausbau sollen Treppen, Kernbereiche, besondere Einbauten sowie alle statisch nicht notwendigen Bauteile verstanden werden. Als Grundsatz sollten möglichst wenige nicht veränderliche Ausbausysteme die Wandlungsfähigkeit der Prozesse einschränken oder behindern.

Schließlich entsteht die Anmut einer Industrie- und Gewerbearchitektur aus struktureller Ordnung, Einfachheit sowie der Balance von Einheit und Vielfalt. Die daraus resultierende wohltuende Harmonie wird erreicht durch eine an lebendige Organismen erinnernde, innere Schlüssigkeit der Elemente in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit. Dabei spielt die unmittelbare Erfassung klar artikulierter Bau- und Architektur-formen, das sofortige Verständnis und die Ablesbarkeit der Aufgaben der Elemente wie Tragwerk, Hülle und Ausbau im Gesamtgefüge eine entscheidende Rolle.

Dabei bedarf es keiner besonderen Verkleidung oder Kaschierung. Eine hohe ästhetische Qualität bedingt keinesfalls hohe Kosten. Das Prinzip der Einfachheit, der Reduktion auf das Wesentliche, darf nicht verwechselt werden mit der Banalität, Einfallslosigkeit und Primitivität des gemeinen Wirtschaftsbaus. Die gebotene Notwendigkeit der Wirtschaftlichkeit verträgt sich vielmehr hervorragend mit Knappheit, fehlender Verkleidung und Vermeidung von Zierrat.

Aus diesen Betrachtungen ergeben sich aus Sicht der Raumgestaltung folgende Forderungen für die Gestaltung einer Produktionsstätte, die gleichermaßen die Prozesssicht wie Raumsicht berücksichtigen, Bild 2: synergetische Gebäudestruktur

 

Bild 2 Gestaltungsebenen, Strukurmerkmale einer synergetischen Gebäudestruktur

  • Zerlegung der Planungsaufgabe in Gestaltungsebenen, die zunehmend ge-nauer ausgeformt werden. Sie reichen von der Einbettung des Generalbe-bauungsplans in die lokale Umgebung über die Einzelgebäude bis hin zu deren Unterteilung in Bereiche und Arbeitsplätze.
  • Festlegung eines Anforderungskatalogs, der von einer Unternehmensvision und einem Markenanspruch ausgeht. Daraus sind gleichrangig harte Fakto-ren wie Produktivität, Materialfluss, Energieverbrauch usw. und weiche Fak-toren wie Kommunikation, Identität und Wandlungsfähigkeit usw. abzuleiten.
  • Synergetische Durchdringung der in der Fabrik ablaufenden Prozesse und der Räume, in denen diese Prozesse stattfinden. Synergetisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich die Lösungsideen aus Prozess- und Raumsicht gegenseitig befruchten und mögliche Konflikte frühzeitig erkannt werden.
  • Aufbau eines Datenmodells, das sowohl die Prozess- als auch Raumsicht möglichst dreidimensional abbildet und damit intuitives Verständnis von Nut-zern und Planern sowie eine durchgängige Dokumentation über die gesam-te Lebensphasen einer Fabrik ermöglicht (Rei05.2, Rei08)

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