Projekt: Anwenderbedürfnisse bezüglich selbstwertschützender Assistenzsysteme

Das Forschungsprojekt widmet sich den Anwenderbedürfnissen bezüglich selbstwertschützender Assistenzsysteme (Laufzeit 02/2016 bis 01/2018). Es gibt eine Vielzahl an technischen Assistenzsystemen und Hilfsmitteln, die von Personen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen genutzt werden, um ihren Alltag optimal zu gestalten. Erfahrungen aus der Praxis zeigen allerdings, dass diese von den NutzerInnen unterschiedlich stark akzeptiert und im Alltag integriert werden. Bislang gibt es wenige Untersuchungen darüber, welche Merkmale zur Akzeptanz der Assistenzsysteme/Hilfsmittel durch die Nutzer beitragen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Bedarfe - vor allem der Zielgruppe älterer Menschen - noch zu wenig bei der Entwicklung neuer Technologien berücksichtig werden (Künemund 2016). Kaum Beachtung fand bisher die Frage nach den individuellen Bedürfnissen zum Erhalt des Selbstwertgefühls bei und/oder trotz Anwendung technischer Assistenzen. Solche psychologischen Aspekte könnten aber für die Akzeptanz und somit die teilhabeförderliche Nutzung der Assistenzsysteme und Hilfsmittel eine zentrale Rolle spielen. Der Selbstwert, welcher ein verhaltensrelevantes Konstrukt darstellt und zudem dynamisch, d.h. auch wandel- und beeinflussbar ist (Keller 2007), kann hierbei von Bedeutung sein. Daher stellt sich die Frage, welche Merkmale und Aspekte von Assistenzsystemen/Hilfsmitteln als selbstwertschützend und welche als selbstwertverletzend wahrgenommen werden und welche Bedeutung dies für den Prozess der Versorgung mit diesen Geräten haben kann.

Da unter den Begriff der technischen Assistenzen eine Vielzahl von Produkten und Technologien gezählt werden kann, wurde innerhalb des Projektes eine Eingrenzung vorgenommen (s. Abb. 1). Das Wort "technische" betont, dass es sich um Produkte und Technologien handelt und nicht um menschliche oder tierische Assistenz. Die Assistenzsysteme/Hilfsmittel sollten selbstdienlich sein, d.h. der Person mit der gesundheitlichen Einschränkung selber dienen und nicht weiteren Personen (wie beispielsweise pflegenden Personen). Sie sollten ebenfalls selber bedienbar sein. Des Weiteren fokussiert die Studie auf solche Assistenzen, die von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen dauerhaft genutzt werden, d.h. nicht nur vorübergehend aufgrund einer zeitlich begrenzten gesundheitlichen Einschränkung. Die technischen Assistenzen sollen zudem sichtbar sein. Dies wurde festgelegt, da durch die Tatsache der Sichtbarkeit ein potenziell größerer Einfluss auf das Selbstwertgefühl einer Person vermutet wurde, als bei nicht sichtbaren Assistenzsystemen.

Auch der Begriff des Selbstwertes wurde projektintern definiert, da dieser in der Literatur unterschiedlich verwendet wird. Es handelt sich dabei um die Bewertung der eigenen Person auf der Grundlage selbst wahrgenommener Eigenschaften und Fähigkeiten. Der Selbstwert speist sich unter anderem aus der Selbstakzeptanz, dem Selbstvertrauen und sozialen Bezügen. Abbildung 2 zeigt das projektinterne Verständnis des Selbstwertes, welches sich stark an den Autorinnen Potreck-Rose & Jacobs (2013) sowie Keller (2007) orientiert.

Das Forschungsprojekt widmete sich vor diesem Hintergrund den folgenden Fragestellungen:

  • Welche Merkmale technischer Assistenzsysteme lassen sich als selbstwertschützend, welche als selbstwertverletzend feststellen?
  • Welche Bedürfnisse zur Gestaltung selbstwertschützender Assistenzsysteme werden benannt?
  • Welchen Einfluss haben der subjektiv wahrgenommene Selbstwertschutz resp. die subjektiv wahrgenommene Selbstwertverletzung auf die Nutzung technischer Assistenzen?

Die Fragestellungen wurden mittels eines qualitativen Studiendesigns beantwortet. Insgesamt wurden 16 leitfadengestützte Einzelinterviews mit NutzerInnen verschiedener Assistenzsysteme geführt. Zusätzlich wurde eine Gruppendiskussion mit drei Personen, die bislang selber noch kein Assistenzsystem nutzten, sowie eine Gruppendiskussion mit fünf Experten einer Rehabilitationseinrichtung durchgeführt. Die Interviews und Gruppendiskussionen wurden per Audio-Datei aufgenommen, anschließend wortgenau transkribiert und mittels einer inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Auf diese Weise konnten acht Kategorien abgeleitet werden: Merkmale der Hilfsmittel/Assistenzsysteme, der Nutzen des Hilfsmittels/Assistenzsystems, Haltungen zum Hilfsmittel/Assistenzsystem, Prozess der (Nicht-) Gewöhnung, Wege zum Hilfsmittel/Assistenzsystem, Person/Persönlichkeit, die Nutzung des Hilfsmittels/Assistenzsystems, Weiteres. Innerhalb fast aller der identifizierten Kategorien konnten Zusammenhänge mit dem Konstrukt des Selbstwerts identifiziert werden.

Zusammenfassung der Ergebnisse: Der Nutzen des Assistenzsystems stellte sich als das wichtigste Thema der Interviewten heraus. Die interviewten Personen erzählten über weite Bereiche des Nutzens, wie der Teilhabe im Allgemeinen, der Mobilität, den sozialen Aktivitäten, dem Ersatz physischer Körperfunktionen sowie der Selbstständigkeit. Aber auch weniger offensichtliche Nutzen wurden thematisiert, wie eine psychische Entlastung, der Nutzen für weitere Personen, die Teilhabe an regional bedeutsamen Fortbewegungsformen sowie die durch das Assistenzsystem zuteilwerdende Aufmerksamkeit. Für einen selbstwertschützenden Umgang mit Assistenzsystemen scheint die Fokussierung auf die wieder oder dazugewonnene Leistungsfähigkeit und Erweiterung der Aktivitäten wichtig zu sein. Dies zeigte sich auch bezogen auf die Haltungen gegenüber Assistenzsystemen: Die gesellschaftliche Akzeptanz sowie die Assoziationen, die mit bestimmten Assistenzsystemen in Verbindung stehen, sind für die Nutzer von großer Bedeutung. So spielen auch Reaktionen sowie soziale Rückmeldungen durch Angehörige aber auch durch fremde Personen eine Rolle bei der Gewöhnung an ein Assistenzsystem. Die Untersuchung zeigte, dass die Gewöhnung prozessartig verläuft und von inneren sowie äußeren Faktoren beeinflusst werden kann. Die Gewöhnung kann sich sogar bis hin zur Akzeptanz des Assistenzsystems als Teil des eigenen Körpers entwickeln. Diese Tatsache fordert einen entsprechenden (ethischen) Umgang mit Assistenzsystemen.

Des Weiteren wurde über die Wege zum Assistenzsystem gesprochen. Da der Anschaffung häufig ein negatives Ereignis vorausgeht, besteht die Gefahr, dass auch das Assistenzsystem (zunächst) als negativ wahrgenommen wird. Nutzer gaben an, dass sie mit den bei der Auswahl und Beschaffung des Assistenzsystems zur Verfügung gestellten Informationen und der Beratung sowie Einweisung unzufrieden waren. Auch die Kostenübernahme der für die Nutzer bedeutsamen Assistenzsysteme wurde als beschwerlich beschrieben. Als ein mögliches Setting der Beschaffung, Beratung und Eingewöhnung an Assistenzsysteme wurde die medizinische Rehabilitation benannt.

Literatur

Keller, D. (2007) Konzept und Konstrukt des Selbstwertes und seine Relevanz für die Psychotherapie. Polyloge. Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit. Eine Internetzeitschrift für "Integrative Therapie", 15/2007. 1-77.

Künemund, H (2016) Deutsches Zentrum für Altersfragen (Ed.): Wovon hängt die Nutzung technischer Assistenzsysteme ab? Expertise zum Siebten Altenbericht der Bundesregierung. Berlin, 2016. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-49994-1 Zugegriffen: 29.01.2018

Potreck-Rose, F & Jacob, G (2003). Selbstzuwendung Selbstakzeptanz Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl. Klett-Cotta: Stuttgart.

Öffentlichkeitsarbeit / Publikationen

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