Das Projekt in Kürze

Die FH Münster führt im Verbund mit der Evangelischen Hochschule RWL Bochum und dem Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Programm "Forschung an Fachhochschulen in Kooperation mit Unternehmen (FH-Kooperativ)" das folgende Forschungs- und Entwicklungsprojekt durch:

Partizipative Entwicklung und Implementierung einer Advanced Practice Nurse für Patientinnen und Patienten in der(Alters-)Traumatologie - PATIENCE

Hintergrund des Vorhabens sind veränderte Versorgungsbedarfe alterstraumatologischer Patienten, die eine wissenschaftsbasierte Pflege erfordern. Mit akademisch qualifizierten Pflegekräften, sog. Advanced Practice Nurses (APN) soll diesem Bedarf begegnet werden. Das Projekt zielt darauf ab, ein Rollen- und Aufgabenprofil für eine APN in Kooperation mit dem BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum partizipativ zu entwickeln, zu erproben und hinsichtlich seiner Tragfähigkeit zu evaluieren.

Motivation des Vorhabens

Mit der demographischen Zunahme älterer Menschen geht eine veränderte Krankheits- und Pflegelast einher, die das Gesundheitssystem in Deutschland zukünftig vor tiefgreifende Herausforderungen stellt (Statistisches Bundesamt, 2019). Da sich der Anteil Unfallverletzter in der Alterskohorte ab 70 Jahren in den letzten Jahren verdoppelt hat (Robert-Koch-Institut & Statistisches Bundesamt, 2017), sind zunehmende und veränderte Versorgungsbedarfe in Bezug auf diese vulnerable Patientengruppe in der Unfallchirurgie und an den risikoreichen Übergängen von der Klinik zurück in die vertraute Lebenswelt zu erwarten. Hochbetagte sind häufig mit mehreren Gesundheitsproblemen und chronischen Erkrankungen konfrontiert, die als Komorbiditäten mit der traumatologischen Hauptdiagnose einhergehen. Riem, Hartwig und Hartwig (2012) weisen in diesem Kontext auf die geriatrietypischen Merkmalskomplexe (z.B. Einschränkungen in Mobilität und kognitiven Fähigkeiten) hin. Einer Studie von Bickel et al. (2018) zufolge erfüllen 19,7% der unfallchirurgischen Patientinnen und Patienten die diagnostischen Kriterien für eine Demenz und 20% die Kriterien für eine leichte kognitive Störung. Insbesondere für diese Zielgruppen sind die stark funktionsorientierten und standardisierten Abläufe im Krankenhaus ungeeignet (Pinkert & Holle, 2012). Orientierungsprobleme ergeben sich für die Betroffenen aufgrund der ungewohnten Umgebung, der fremden Personen und fehlender alltäglicher Routinen. Während entsprechende Versorgungskonzepte (z.B. Erinnerungsarbeit) in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen mittlerweile etabliert sind, ist in der akutstationären Versorgung älterer, unfallverletzter Menschen wenig Raum für eine individuelle, an den Bedürfnissen, Ressourcen und Kompetenzen des Einzelnen ausgerichtete Betreuung und Pflege (Pinkert & Holle, 2012). Als Konsequenz kann es durch die Kumulation der Gesundheitsprobleme zu Verzögerungen in der Behandlung und Rehabilitation kommen. Zugleich kann sich der Zustand weiter verschlechtern, was zu Abhängigkeit oder Inkompetenzkaskaden (Ulmer & Saller, 1994; Höhmann, Müller-Mundt, Schulz, 1998) führen kann. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur von besonderer Bedeutung den Bedarfen dieser vulnerablen Gruppe älterer Unfallverletzter mit entsprechenden Versorgungskonzepten Rechnung zu tragen (Bickel et al., 2018), sondern auch die damit einhergehenden Qualifizierungsanforderungen zu ermitteln.

Notwendig sind z.B. Wissen über den Zustand der Betroffenen vor dem Unfall und eine prognostische Einschätzung ihrer geriatriespezifischen Merkmalskomplexe. Weitere Anforderungen sind ein Verständnis für die Eigenlogiken der betroffenen Personen, auf deren Grundlage die Anpassung der Abläufe und Handlungen in Abstimmung mit den beteiligten Berufsgruppen in der Traumatologie erfolgen kann.

Möglicher Lösungsansatz

Als ein Ansatz zur Lösung dieser Herausforderungen wird die international eingesetzte Advanced Practice Nurse (APN) diskutiert. Nach der Definition des International Council of Nurses (ICN, 2020) handelt es sich dabei um eine hochschulisch ausgebildete Pflegefachperson, die in den spezifischen Sektoren des Gesundheitssystems eigenverantwortlich und auf der Grundlage ihres Expertenwissens den Versorgungsprozess von unterstützungsbedürftigen Personen analysiert, koordiniert und steuert. Dabei bezieht die APN die Perspektive der Betroffenen mit ihrem sozialen Umfeld ein, unterstützt diese in komplexen Entscheidungen und übernimmt für sie eine anwaltschaftliche Funktion. Sie arbeitet in Allianz mit den anderen beteiligten Berufsgruppen und ist zwischen diesen vermittlungsfähig. Sie stellt so Transparenz für alle Beteiligten im und über den Versorgungsprozess her. Ein Master-Abschluss wird international als Qualifikation für eine APN empfohlen (ICN, 2020). In Deutschland empfiehlt nicht nur der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklungen im Gesundheitswesen (2007, 2014) den Einsatz dieser hochschulisch ausgebildeten Pflegenden. Auch der Wissenschaftsrat (2012, S. 7) schlussfolgert, dass bislang nicht geklärt ist, "welche hochschulischen Ausbildungsangebote und Qualifikationen zukünftig in Ergänzung und Weiterentwicklung bereits bestehender Angebote benötigt werden und wie diese gestaltet werden sollten, um angemessen auf bereits stattfindende und absehbare Veränderungen der Versorgungsbedarfe im Gesundheitswesen reagieren zu können und die Qualität der Gesundheitsversorgung zu sichern". Tannen, Feuchtinger, Strohbücker und Kocks (2017) ermitteln für deutsche Universitätskliniken einen Akademisierungsgrad von 1,7%. Dieser sinkt auf 1%, wenn man nur Pflegende in der unmittelbaren Patientenversorgung berücksichtigt. Es wird deutlich, dass es bislang weder gelungen ist, 10-20% eines Ausbildungsjahrgangs in der Pflege hochschulisch auszubilden und so die Empfehlungen des WR umzusetzen, noch Masterabsolventinnen und -absolventen angemessen in der deutschen Versorgungspraxis zu etablieren. Auch wenn einzelne Kliniken in Deutschland APN einsetzen (z.B. Universitätsklinikum Freiburg), steht die setting- und zielgruppenspezifische sowie professionstheoretische Entwicklung und Implementierung von APN für Deutschland aus. Die Übertragbarkeit etablierter APN-Modelle aus anderen Ländern ist aufgrund unterschiedlicher Gesundheitssystembedingungen nur bedingt gegeben. An dieser Stelle setzt das Vorhaben an, in dem hierzulande erstmals eine APN für ältere, unfallchirurgisch versorgte Menschen entwickelt und modellhaft erprobt werden soll.

Besonders gut für die Durchführung des Projekts eignen sich die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken (BG Kliniken). Diese haben in Deutschland eine Leuchtturmfunktion in der Versorgung unfallverletzter Menschen, die mit knapp 39.000 Fällen im Jahr 2017 den größten Anteil chirurgischer Patientinnen und Patienten in den BG Kliniken bilden (BG Kliniken, 2017). Der Komplexität in der Versorgung (alters-)traumatologischer Patientinnen und Patienten sowie den damit einhergehenden beschriebenen qualifikatorischen Anforderungen müssen zukünftig auch die BG Kliniken begegnen.

Ziel und Forschungsfragen

Ziel des Vorhabens ist die partizipative Entwicklung und Implementierung einer APN für die Versorgung (alters-) traumatologischer Patientinnen und Patienten im Bereich einer Modellpflegeeinheit in den BG Kliniken. Durch die Intensivierung des anwendungsnahen sowie anwendungsorientierten Transfers von Wissen zwischen Hochschule und BG Kliniken soll das APN-Modell als Lösung für die beschriebenen Herausforderungen entwickelt und in eine erste Anwendung überführt werden (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2020). Der partizipative Ansatz wird gewählt, um Passungen vor Ort sowie deren Nachhaltigkeit schon im Projektverlauf zu reflektieren und auf dieser Basis in einem letzten Schritt übertragbare Erkenntnisse zu generieren.

Aus dieser Zielsetzung werden die folgenden zentralen Forschungsfragen abgeleitet:

  • Welche Anforderungen bestehen in Bezug auf die Versorgung (alters-) traumatologischer Patientinnen und Patienten, die durch eine APN erfüllt werden sollen?
  • Welche spezifischen Handlungskompetenzen, Fähigkeiten und Qualifikationen benötigt die APN zur Übernahme der mit diesen Anforderungen verbundenen Aufgaben?
  • Wie kann die APN diese Handlungskompetenzen und Fähigkeiten in das bestehende pflegerische Team integrieren und wie wirkt sich ihr pflegerisches Handeln darauf aus?
  • Wie kann die Integration der Rolle der APN im multiprofessionellen Team gelingen?
  • Wie wird die APN von den Stakeholdern (Patientinnen und Patienten, Angehörigen, Berufsgruppen) wahrgenommen, bewertet und reflektiert?
  • Wie kann die Verstetigung der APN für (alters-)traumatologische Patientinnen und Patienten in BG Kliniken und Traumazentren gelingen und welche Bedingungen sind dafür notwendig?

Zahlen, Daten, Fakten

Durchführungszeitraum: 2022 - 2026

Gefördert durch: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 

Förderprogramm: Forschung an Fachhochschulen in Kooperation mit Unternehmen (FH-Kooperativ)

Projektpartner


Förderung

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Förderkennzeichen: 13FH558KA0

Quellenangaben

  • BG Kliniken - Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung (o.J.). Rundblick. Imagebroschüre. Berlin. Abgerufen von https://www.bg-kliniken.de/file admin//00_holding/_ medien/20190722_Imagebericht_Holding_Rundblick.pdf [07.10.2020]
  • Bickel, H., Hendlmeier, I., Heßler, J. B., Junge, M. N., Leonhardt-Achilles, S., Weber, J., & Schäufele, M. (2018). Prävalenz und Demenz von kognitiven Beeinträchtigungen in Krankenhäusern. Ergebnisse der General Hospital Study (GHoSt). Deutsches Ärzteblatt international, 115(4), 733-40.
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2020). Richtlinie zur Förderung von Forschung an Fachhochschulen in Kooperation mit Unternehmen (FH-Kooperativ) im Rahmen des Programms "Forschung an Fachhochschulen" Abgerufen von https://www.forschung-fachhochschulen.de/bekanntmachungen/fh-kooperativ [07.10.2020]
  • Höhmann, U., Müller-Mundt, G. & Schulz, B. (1998). Qualität durch Kooperation. Gesundheitsdienste in der Vernetzung. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag.
  • International Council of Nurses (ICN) (2020). Guidelines of Advanced Practice Nursing. Geneva, Switzerland. Abgerufen von https://www.icn.ch/system/files/documents/2020- 04/ICN_APN%20Report_EN_WEB.pdf [07.10.2020]
  • Pinkert, C. & Holle, B. (2012). Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus. Literaturübersicht zur Prävalenz und zu Einweisungsgründen. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 45(8),728-734.
  • Robert-Koch-Institut & Statistisches Bundesamt (2017). Verteilung der Bevölkerung nach ihrem Gesundheitszustand (in Prozent). Gliederungsmerkmale: Jahre, Deutschland, Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand (Primärquelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus - Fragen zur Gesundheit). In www.gbe-bund.de (Thematische Recherche: Gesundheitszustand der Bevölkerung: krank oder unfallverletzt, unfallverletzt). [11.10.2020].
  • Riem, S., Hartwig, E., & Hartwig, J. (2012). Alterstraumatologie. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 7(3), 187-205.
  • Statistisches Bundesamt (2019). Bevölkerung im Wandel. Annahmen und Ergebnisse der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden. Abgerufen von https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferenzen/2019/Bevoelkerung/pressebrosch uere-bevoelkerung.pdf?__blob=publicationFile [07.10.2020]
  • Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) (2007). Kooperation und Verantwortung. Voraussetzung einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. Abgerufen von https://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=15 [07.10.2020]
  • Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) (2014). Bedarfsgerechte Versorgung - Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche Abgerufen von https://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=465 [07.10.2020]
  • Tannen, A., Feuchtinger, J., Strohbücker, B., & Kocks, A. (2017). Survey zur Einbindung von Pflegefachpersonen mit Hochschulabschlüssen an deutschen Universitätskliniken - Stand 2015. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ), 120 (2017), 39-46
  • Ulmer, E.-M. & Saller, R. (1994). Das Krankenhaus - ein gefährlicher Ort für ältere Menschen? Zusammenhang von individuellen und institutionellen Faktoren. Internistische Praxis, 34, 874-852.
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