„Atomenergie ist eine reine Übergangslösung“

Als einer der letzten drei Meiler in Deutschland wird das Atomkraftwerk Emsland in Lingen Ende dieses Jahres abgeschaltet. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist umstritten. Erst im Februar stufte die Europäische Kommission Atomkraft unter bestimmten Auflagen als nachhaltig ein. Im Interview diskutieren Prof. Dr. Reinhart Job und Prof. Dr. Konrad Mertens vom Fachbereich Elektrotechnik und Informatik, ob Deutschland angesichts des Russland-Ukraine-Kriegs auf Atomkraftwerke verzichten kann und welche weiteren Herausforderungen die Energiewende mit sich bringt.

Prof. Job, Prof. Mertens, haben wir genug Energie in Deutschland, wenn die letzten Kernreaktoren Ende des Jahres abgeschaltet werden?

Konrad Mertens: Der Anteil der Kernenergie am sogenannten Primärenergieverbrauch in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen und betrug 2021 noch etwa sechs Prozent. Andere fossile und insbesondere erneuerbare Energieträger sollen diesen Anteil zukünftig ausgleichen, das war zumindest der Plan. Russlands Sanktionen gegen Gasfirmen und ein drohender russischer Gasboykott verschärfen die Situation. Das betrifft nicht nur die Energieversorgung von Privatpersonen – fast die komplette Industrie würde zusammenbrechen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber meiner Ansicht nach wäre es tatsächlich sinnvoll, die letzten Atomkraftwerke am Netz zu halten, solange sie noch sicher sind. Der parallele Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen ist wichtiger denn je.

Reinhart Job: Das sehe ich auch so. In der Politik ist in den vergangenen Jahren viel versäumt worden. Die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas kommt Deutschland nun teuer zu stehen.

Wie ist Deutschland aktuell im Bereich der erneuerbaren Energien aufgestellt?

Mertens: Die erneuerbaren Energien deckten im vergangenen Jahr rund 40 Prozent des deutschen Strombedarfs. Obwohl wir ein vergleichsweise schlechtes Sonnen- und Windjahr hatten, übertraf dieser Anteil die Stromerzeugung aus Kohle, Gas und Öl. Dennoch ist es zu wenig. In den anderen Sektoren hat sich kaum etwas getan. Im Bereich Verkehr beispielsweise machen erneuerbare Energien mit knapp sieben Prozent den geringsten Anteil aus. Hier dominieren noch immer Mineralölprodukte. Technologischer Fortschritt macht Autos zwar effizienter und sparsamer, aber gleichzeitig gibt es immer mehr auf den Straßen. Zum Gelingen der Energiewende bräuchten wir meiner Meinung nach neben Photovoltaikanlagen deutlich mehr Windkrafträder.

Job: Die Frage ist nur: Woher bekommen wir die Rohstoffe für die Hartmagnete in den Generatoren der Windräder? Das Thema Rohstoffe wird zu wenig diskutiert. Die Vorkommen der sogenannten seltenen Erden sind begrenzt, ihr Abbau verursacht massive Umweltprobleme. Und auch hier begeben wir uns wieder in Abhängigkeiten, zum Beispiel von China.

Energieerzeugung durch Wind- oder Sonnenkraft ist die eine Sache. Welcher Handlungsbedarf besteht im Bereich der Energiespeicher?

Mertens: Das ist bisher ein ungelöstes Problem und der blinde Fleck in der Energiewende. Es gibt bisher zum Beispiel keine ausreichend großen Batteriespeicher, die eine komplette Saison überbrücken könnten. Wenn uns jetzt tatsächlich das Gas ausgeht, könnten wir theoretisch die leerstehenden Gasspeicher nutzen und sie mit synthetischem Methan füllen. Das wäre eine Variante, um einen Teil des Stroms umgewandelt als Gas zu speichern und bei Bedarf wieder zurückzuholen.

Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien ist aktuell also noch in weiter Ferne. Ist Kernenergie vielleicht doch eine Alternative, zumal die Europäische Kommission Atomkraft unter bestimmten Auflagen als nachhaltig eingestuft hat?

Mertens: Atomenergie sehe ich als reine Übergangslösung. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Ansonsten ist Kernenergie keine Lösung. Der Abbau der benötigten Rohstoffe ist alles andere als nachhaltig. In Australien werden ganze Berge abgetragen, um Uran zu gewinnen. Zudem gibt es weltweit noch kein einziges Endlager und das Sicherheitsrisiko ist enorm. Ich glaube nicht, dass in Deutschland neue Atomkraftwerke aufgebaut werden. Die Politik hat das Thema abgehakt.

Job: Es gibt zwar neue Konzepte für kleinere, sicherere Atomkraftwerke. Aber wohin mit dem Atommüll? Auf diese Frage gibt es noch immer keine Antwort. Daher ist Kernenergie auch für mich keine langfristige Alternative. Es ist außerdem nicht zu erwarten, dass die Energiekosten durch einen kurzfristigen Weiterbetrieb unserer Atomkraftwerke sinken. Der Unterhalt von Atomkraftwerken ist teuer, insbesondere die Folgekosten sind sehr hoch.

Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland laut Klimaschutzgesetz Treibhausgasneutralität erreichen. Können wir das überhaupt noch schaffen?

Mertens: Ich sehe das im Moment nicht. Das Kohlenstoffdioxid, das bereits emittiert wurde, bleibt in der Atmosphäre und verschwindet nicht einfach. Es ist entscheidend, dass möglichst schnell weitere Emissionen vermieden werden, und das gelingt weltweit nur über internationale Verträge wie dem Pariser Abkommen. Nur weil sich Einzelne umweltfreundlich verhalten, wird der Klimawandel nicht aufgehalten. Wir können nur hoffen, dass der Leidensdruck gesamtgesellschaftlich steigt und mehr Menschen bereit sind, Kompromisse einzugehen. Die Technologie ist unsere einzige Chance, um mit möglichst wenig Umweltverschmutzung ein Energieniveau zu erreichen, mit dem wir leben können.

Job: Das Problem ist, dass viele bestehende Technologien bereits ausgereizt sind und die Rohstoffe knapp werden. Ich als Wissenschaftler finde, dass unsere Gesellschaft dringend ihren Lebensstil ändern, den Hyperkonsum einschränken und Ressourcen schonen muss. Wir brauchen außerdem gut ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure mit kreativen Ideen. Dann können wir das Fiasko vielleicht noch abmildern.

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