CO2-Kompensation bei Flugscham: Warum das allein nicht hilft

Der weltweite CO2-Ausstoß ist auf Rekordhoch – trotzdem sind die Flüge günstig wie nie. Wen das schlechte Gewissen plagt, kann seinen ökologischen Fußabdruck verkleinern: dank CO2-Kompensation. Was ist da dran? Das erklärt Prof. Dr. Nina Michaelis, VWL-Professorin für Nachhaltige Ökonomie unseres Fachbereichs Wirtschaft, der Münster School of Business (MSB).

Frau Prof. Michaelis, bei der CO2-Kompensation errechne ich erst meinen CO2-Ausstoß, zum Beispiel für einen Flug, und spende dann eine Summe, die in Klimaschutzprojekte investiert wird und die den Ausstoß ausgleichen. Klingt nach einer guten Idee – ist sie das denn auch?
Freiwillige Kompensation ist an sich super. Anbieter und Organisationen in diesem Bereich gibt es schon länger, Atmosfair wurde zum Beispiel 2003 gegründet. Die öffentliche Aufmerksamkeit wächst aber erst jetzt, sicherlich auch beeinflusst durch die vielen Schülerdemonstrationen. Es handelt sich bei den Anbietern meistens um gemeinnützige Organisationen, die ihre Einnahmen in Klimaschutzprojekte investieren. Trotzdem muss man sich als Privatperson oder als Unternehmen vor dem Spenden informieren, Qualitätssiegel sind dabei hilfreich. Häufig fließt das Geld in Projekte in Entwicklungsländern, da sich dort große Effekte in Sachen CO2-Einsparung erzielen lassen. Viele Einsparungsmaßnahmen in Privathaushalten und Industrie sind dort günstiger durchzuführen als zum Beispiel in Europa.

 

Also tue ich mit der CO2-Kompensation etwas Gutes und brauche kein schlechtes Gewissen oder Flugscham mehr zu haben, wenn ich fliege und die Gebühr zahle?
Uns muss allen klar sein, dass Kompensieren nur die drittbeste Lösung ist – es wäre viel besser, wenn wir gar nicht erst fliegen, CO2 also vermeiden, oder, wenn das nicht geht, CO2 reduzieren. Die Kompensation ist letztendlich eine moderne Form des Ablasshandels! Wir schaffen nämlich Ablass dafür, dass wir unseren Lebensstil so beibehalten, wie er ist, und es ist fragwürdig, ob das überhaupt möglich ist. Auch gibt es einfach noch zu viele, die sich denken: „Mir doch egal, nach mir die Sintflut.“ Wir können die Welt allein mit freiwilliger Kompensation nicht retten. Aber es ist super, dass da aktuell ein Bewusstsein für entsteht. Insgesamt müssen größere Lösungen her!

 

Wahrscheinlich dürfen wir dabei auch nicht nur ans Fliegen denken?
Genau. Es gibt in der EU ein Zertifikatehandelssystem für Klimagase. Dabei wird eine Obergrenze an CO2, welches die EU-Länder ausstoßen dürfen, festgelegt, und für diese Gesamtmenge entsprechend Zertifikate verschenkt und versteigert – und die Grenze wird glücklicherweise ständig herabgesetzt. Um beim Flugbeispiel zu bleiben: Seit 2012 ist auch der Flugverkehr in dieses Handelssystem aufgenommen worden, und alle Flugzeuge, die in Europa starten und landen, müssen entsprechende Zertifikate haben, damit ihr CO2-Ausstoß abgedeckt ist. Aber die Zertifikate sind zu günstig, um die Kosten wirklich zu decken. Das ist ein Grund, weshalb die Flugpreise insgesamt niedrig und deshalb für viele reizvoll sind. Aber die Airlines erhöhen die Preise nicht, weil sie dadurch Wettbewerbsnachteile fürchten.

 

Sind wir denn generell mit diesen Zertifikaten auf einem guten Weg?
Gesamtwirtschaftlich gesehen besteht noch Regulierungsbedarf. Der Verkehrssektor ist zum Beispiel in dem Handelssystem kaum berücksichtigt und auch nicht alle Industriebranchen. Das sorgt dafür, dass das System letztendlich nur 40 Prozent der Treibhausgase umfasst, und die Kompensation der Emissionen nicht realistisch abgedeckt ist. Das ist zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen! Deshalb können wir uns meiner Meinung nach auch nicht darauf verlassen, dass wir auf EU-Ebene kurzfristig neue Ziele und Lösungen finden. Das dauert einfach viel zu lange, weil sich die EU uneinig ist. Klar ist es wichtig, das Thema gemeinsam anzugehen, aber das heißt, wir verschieben wichtige Pläne auf die ferne Zukunft. Deutschland könnte und müsste als Industrienation mit Blick auf die Energiewende vorangehen und zum Beispiel eine CO2-Steuer einführen.

 

Ein sehr aktuelles Thema – wird das bei Ihnen in der Lehre auch besprochen?
Ja, in unserem Modul „Nachhaltiges Wirtschaften“ diskutieren wir viel mit den Studierenden. Vor zehn Jahren war die Resonanz auf Nachhaltigkeit als Thema in der Wirtschaft ziemlich mau, das nimmt jetzt zu. Wir besprechen zum Beispiel verschiedene Instrumente zur Reduktion des CO2-Verbrauchs und Ideen, wie und ob die Wirtschaft wachsen kann, aber trotzdem weniger fossile Energieträger verbraucht und so CO2 einspart. Bislang ist es nämlich immer so gewesen: Wenn die Wirtschaft wächst, steigt der CO2-Ausstoß, technischer Fortschritt konnte diesen Zusammenhang bisher nicht umkehren. Das ist ein Problem für unseren Planeten, und dem müssen wir uns stellen – für die gute Sache!

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