Ab nach Hause wegen Corona: So meistert man Homeoffice und Familienleben

Manche Menschen bleiben gern zu Hause, andere tun sich damit schwer. Aber alle verbringen jetzt sehr viel Zeit genau dort: in den heimischen vier Wänden. Wie das mit Kindern am besten klappt, was beim Homeoffice hilft und wie sich der Stressmodus herunterfahren lässt, erklärt Prof. Dr. Holger Domsch von unserem Fachbereich Sozialwesen.

 

Herr Prof. Domsch, viele arbeiten inzwischen im Homeoffice. Manche kennen das nicht anders, für die meisten dürfte die Situation aber neu sein. Warum gehen wir unterschiedlich damit um?

Wie gut oder schlecht wir mit dem Homeoffice klarkommen, hängt von vielen Faktoren ab: der familiären Situation, den Wohnbedingungen und dem eigenen Typus. Einige sind bereits an die Strukturen des Homeoffice gewöhnt, anderen fällt dies besonders schwer. Das hat auch mit der menschlichen Psyche und unserem Körper zu tun: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – so sind wir Menschen nun einmal ausgerichtet. Diese Gewohnheiten gibt es auch in unserem Berufs- und Privatleben. Wenn wir unsere Arbeitskleidung anziehen, zur Arbeit fahren, unser Büro betreten, stellt sich der Körper ganz auf den Job ein. Das eigene Zuhause ist dagegen mit anderen Routinen assoziiert, und dadurch trennen wir Berufliches von Zuhause. Im Normalfall ist das auch sinnvoll, und es trägt zur eigenen Psychohygiene bei. Jetzt, durch das Homeoffice in Zeiten von Corona, vermischt sich Berufs- und Privatleben stärker.

Wie kriegt man das in den Griff?

Erstens hilft es, wenn Menschen im Homeoffice sogenannte Arbeitsassoziationen schaffen. Dazu zählen der feste Arbeitsplatz – er signalisiert, dass hier gearbeitet wird – oder die obligatorische Tasse Kaffee, die man sich am Anfang oder zu gewissen Pausenzeiten zubereitet. Einige arbeiten immer mit der gleichen Musik, tragen Kleidung, mit der sie auch ins Büro gehen würden, und ziehen sich nach Feierabend um – all das sind Rituale, die helfen können. Zweitens ist es besonders zu Hause wichtig, Strukturen zu schaffen. Feste Pausen gehören ebenso dazu wie To-do-Listen, die man abarbeitet. Denn zuweilen hat man das Gefühl, zu Hause weniger zu schaffen als im Büro. Besonders bei den Neulingen im Homeoffice ist das der Fall. To-do-Listen spiegeln uns zurück, was wir bereits alles erledigt haben. Sie sind also nicht nur Strukturierungshilfe, sondern auch wichtiger Teil der eigenen Psychohygiene.

Hat man all das geschafft, bleibt aber immer noch die Ablenkung.

Ja, das stimmt. Zu Hause gibt es oft viele attraktive Ablenkungsmöglichkeiten. Das können Menschen sein, aber auch Gegenstände oder Aktivitäten. Um dagegen anzuhalten, muss man sehr strukturiert sein. To-do-Listen helfen dabei. Und alles, was uns besonders ablenkt, gehört, wenn möglich, außerhalb des Sichtfensters. In Studien hat man zum Beispiel herausgefunden, dass Zigarettenpackungen auf keinen Fall sichtbar herumliegen dürfen, wenn man den Zigarettenkonsum reduzieren will. Genauso verhält es sich mit Ablenkungen von der Arbeit.

Viele haben kleine Kinder zu Hause und nur eingeschränkt Platz. Wie meistern diese Familien den gegenwärtigen Appell, daheim zu bleiben?

Aus der Stressforschung wissen wir: Je beengter der Wohnraum, desto höher ist der erlebte Stress. Wer also einen Garten hat oder in einem Haus wohnt, in dem sich die Familienmitglieder verteilen, ist klar im Vorteil. All jene, die im Homeoffice in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit zwei kleinen Kindern arbeiten, bringt dieses Wissen natürlich wenig – außer Verständnis: für sich selber, aber insgesamt für die familiäre Situation aller. Es ist wichtig, miteinander zu sprechen und sich vor allem als Familie jeden Tag zu feiern: Was ist uns heute gut gelungen? Gemeinsame Familienzeiten am Abend helfen, ein Wir-Gefühl zu schaffen. Durch Corona muss nicht alles schlecht sein: Einige Familien berichten momentan auch von einem stärkeren Zusammenrücken.

Trotzdem dürfte es doch schwierig sein, die Kinder den ganzen Tag zu beschäftigen.

Absolut, das ist jetzt eine Herausforderung. Im Internet gibt es vielfältige Tipps und Angebote zur Beschäftigung von Kindern. Das reicht vom täglichen Sportprogramm über Beschäftigungs- und Spielideen bis hin zu digitalen Lernangeboten. Grundsätzlich sind Kinder unterschiedlich, und Experten für ihre Kinder sind die Eltern. Es liegt also an ihnen zu überlegen, welche Grundbedürfnisse ihr Nachwuchs hat und wie sie diesen unter den derzeitigen Umständen gerecht werden. Es lohnt sich, abends in einer ruhigen Minute darüber nachzudenken, es aufzuschreiben und gemeinsam mit den Kindern zu besprechen.

Manchmal hilft alles nichts, und es gibt Streit.

Richtig. Solche Situationen kennt jeder von uns: In einem schwierigen Gespräch nehmen wir uns fest vor, ruhig und gelassen zu bleiben. Und dann sind wir doch wieder in unseren alten Handlungsmustern. In Stresssituationen ist das ganz normal, weil unser Stresssystem die Kontrolle übernimmt. Plötzlich haben wir den Tunnelblick und handeln entsprechend genetisch veranlagter Stressreaktionen: Flucht, Kampf oder Starre. Manch einem bleibt die Stimme weg oder sie wird brüchig. Andere werden – obwohl sie sich vorher zur Ruhe ermahnt haben – ungehalten und laut. Und wieder andere fühlen sich sprachlos. Dann ist es wichtig, die Situation zu verlassen. Gehen Sie spazieren oder nehmen Sie das Rad – dadurch fahren Sie Ihren Stressmodus wieder runter und erweitern Ihren Blick für kreative Lösungsideen für die jeweilige Situation. Plötzlich fällt Ihnen ein, dass Sie besser dieses oder jenes gesagt hätten. Haben Sie aber nicht – das ist normal und gehört dazu. Deshalb: Geraten Menschen im Stressmodus aneinander, lieber Abstand nehmen und in Ruhe überlegen, wie man die Situation klären kann.

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