Unternehmer*in sein und Gutes tun: Michael Kortenbrede teilt seine Erfahrungen

Michael Kortenbrede hat zwei Social Start-ups gegründet, ist Vorstandsmitglied im Social Impact Verein, Gründungsberater im Team von FH Münster und TAFH Münster GmbH, Träger des Heimatpreises 2019 und startet demnächst seine Promotion. Im Interview erklärt der 30-jährige Absolvent unserer Hochschule, was soziales Unternehmertum bedeutet.

Was ist mit Social Entrepreneurship oder sozialem Unternehmertum gemeint?

Soziales Unternehmertum vereint den sozialwissenschaftlichen Ansatz, der zum Teil eher wirtschaftskritisch geprägt ist, und die wirtschaftswissenschaftliche Denkweise. Sozialunternehmen sind wirtschaftlich, nachhaltig, sozial, und sie gestalten Gesellschaft zu etwas Positivem hin. Sie erkennen gesellschaftliche Herausforderungen und lösen diese. Einige „klassische“ Wirtschaftsunternehmen haben das bereits verstanden: Sie gründen beispielsweise eigene Abteilungen für Corporate Social Responsibility (CSR) und beschäftigen sich mit Corporate Volunteering. Aber nur weil sie sich Nachhaltigkeit und gesellschaftliches Engagement auf die Fahne schreiben, macht sie das noch nicht zum Sozialunternehmen.

Wie sind Sie selbst zum sozialen Unternehmertum gekommen?

2016 war ich mit einem Freund bei einer Start-up-Messe in Köln. Ich hatte zwar bereits die Idee für ein Modelabel, aber wusste noch nicht genau, wie und wo ich anfangen sollte. Auf der Messe hat Dirk Sander, Standortleiter des damaligen Social Impact Labs in Duisburg, der heutigen Impact Factory, einen Vortrag zum Thema „Wie gründe ich ein Sozialunternehmen?“ gehalten. Er hat gefragt: „Ist hier jemand mit einer Gründungsidee?“ Mein Freund hat spontan für mich aufgezeigt, und ich habe meine Idee kurz umrissen. Nach seinem Vortrag hat mir Sander seine Karte gegeben. Ich sollte mich bei ihm melden. Das Social Impact Lab vergibt Stipendien, die Gründer*innen mit Coachings, Mentorings und dem Aufbau eines Netzwerks unterstützt – allerdings gab es das damals für NRW nur in Duisburg. Und so bin ich sechs Monate von Münster nach Duisburg gependelt und habe erstmals Fachbegriffe wie Pitch Deck und Social Business Canvas kennengelernt. Von da an war ich Teil der Social Entrepreneurship-Szene, in die ich zufällig auf dieser Messe hineingestolpert bin.

Und dann haben Sie 2017 das integrative Modelabel „bayti hier“ gegründet. 

Genau! In den Jahren 2015 und 2016 gab es eine hohe Zuwanderung von Migrant*innen, besonders aus dem arabischen Raum. Während der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist die Alternative für Deutschland (AfD) zweitstärkste Kraft geworden – noch vor der CDU. Das fand ich schockierend. Ich wollte dazu beitragen, dass Geflüchtete integriert werden und in Deutschland geborene Menschen ihre Vorurteile gegenüber Migrant*innen abbauen. Ich überlegte mir, dass ich geflüchteten Menschen eine Perspektive aufzeigen kann, indem ich ihnen helfe, finanziell unabhängig zu werden. Mit einem Modelabel unterstützen wir auf mehreren Ebenen: Erstens geben wir Geflüchteten eine Arbeit. Zweitens können wir mithilfe der Kleidung Botschafter*innen auf die Straße schicken, die für Offenheit und Toleranz stehen. Das erleichtert auf zweifache Weise die Integration von Menschen. Damit war „bayti hier“ geboren – „bayti“ ist Arabisch und heißt auf Deutsch „mein Zuhause“.

Hatten Sie Hilfe bei der Gründung?                                                        

Ja, ich habe „bayti hier“ gemeinsam mit meiner Cousine Pia Brillen gestartet. Sie ist hobbymäßige Schneiderin, ich habe den wirtschaftlichen Hintergrund. Mentor*innen hatten wir aber nicht. Gemeinsam haben wir jede Klinke selber geputzt. Aber ich habe auch nie gesagt, dass ich gründen will. Die Idee war mehr aus dem Bedürfnis geboren zu helfen. Ich war mitten im Studium, hatte Zeit und sagte mir: Wenn es klappt, ist alles super, aber wenn es scheitert, bin ich auch nicht ruiniert.

Inzwischen arbeiten Sie auch als Gründungsberater für Social Entrepreneurship an der TAFH Münster GmbH. Was ist Ihre Aufgabe?

Ich teile meine Erfahrungen mit anderen und helfe Menschen, die Idee des Sozialunternehmertums zu verbreiten und etwas in der Gesellschaft zu bewegen. Bei meiner Arbeit als Gründungsberater geht es häufig weniger um eine Beratung, sondern mehr um eine Sensibilisierung für das Thema Sozialunternehmertum. Wenn zum Beispiel Studierende aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Kontext in die Sprechstunde kommen, dann versuche ich ihnen klar zu machen, dass sie den gesellschaftlichen Impact ihrer Idee noch herausarbeiten müssen. Was ist die soziale Innovation hinter dem Geschäftsmodell? Bei Gründungsideen aus dem sozialwissenschaftlichen Kontext muss man die Angst vor dem Handwerkskoffer der BWL nehmen und aufzeigen, dass durch die Skalierung dieser Idee noch viel mehr gesellschaftlicher Impact geschaffen werden kann. Diese Auseinandersetzung mit den Studierenden und ihre intrinsische Motivation macht mir am meisten Freude.

Welchen Rat geben Sie Gründer*innen?

Liebt eure Idee. Eine Unternehmensgründung braucht sehr viel Zeit – und Herzblut. Das, was ihr macht, muss sich richtig und gut anfühlen. Und was viele nicht wissen: Bei der Gründung eines Sozialunternehmens geht es viel um Wirkungsmessung. Die schwierigste Herausforderung ist, dass wir als Social Entrepreneurs nicht nur den Profit, sondern auch den sozialen Impact evaluieren müssen. Hilft unsere Arbeit wirklich den begünstigten Menschen? Wenn unsere Kleidung den geflüchteten Menschen nicht bei der Integration hilft, weil sie sagen, es berührt sie nicht, die Integration hat sich für sie nicht erleichtert, dann sind wir zwar ein Modeunternehmen, aber kein Sozialunternehmen mehr. Ein Social Entrepreneurship sind wir, wenn wir das Handeln von Menschen verändern können. Das muss gemessen werden. Neben dem, dass man ein in sich tragendes, nachhaltiges und wirtschaftliches Geschäftsmodell entwickeln muss, ist gerade die Wirkungsmessung die schwierigste Aufgabe bei der Gründung eines Sozialunternehmens.

Haben Sie ein Rezept für die Gründung eines erfolgreichen Sozialunternehmens?

Im Grunde genommen sind es drei Schritte: Zunächst muss man den Handwerkskoffer der klassischen BWL verstehen und bedienen können. Denn nur mit dem Koffer lässt sich ein Geschäftsmodell entwickeln. Um dieses Modell nachhaltig zu einem Sozialunternehmen aufzubauen, muss die soziale Innovation dahinter so durchdacht sein, dass sich etwas im Leben der Begünstigten zum Positiven ändert. Wenn das beides gegeben ist, muss man auf die Gründerpersönlichkeit schauen. Denn schließlich muss die Aufgabe nachhaltig bewältigt werden. Eine Gründung bedeutet viele Hürden zu nehmen, offen für Neues zu sein. Routinen sind selten in der Unternehmensgründung. Wenn die drei Komponenten zusammenkommen, hat man sehr gute Chancen ein Sozialunternehmen zu gründen und nachhaltig zu etablieren.

 

Bei dem hier veröffentlichten Interview mit Michael Kortenbrede handelt es sich um eine Kurzversion. Die Langfassung ist unter fhms.eu/kortenbrede abrufbar.

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