Gips - Gestein des Jahres mit erstaunlichen Eigenschaften

Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler hat Gips zum Gestein des Jahres 2022 ernannt. Prof. Dr. Jörg Harnisch vom Fachbereich Bauingenieurwesen der FH Münster hat sich darüber gefreut. Denn es lohnt sich, wie er findet, das zunächst unspektakulär anmutende Gestein genauer zu beleuchten.

Prof. Harnisch, was ist Gips überhaupt?

Gips ist ein Gestein, ein Mineral, bestehend aus den Elementen Calcium, Schwefel, Sauer- und Wasserstoff. Chemisch gesehen wird Gipsstein als Calciumsulfat-Dihydrat oder schwefelsaurer Kalk bezeichnet. Das Spannende ist, dass es sich um einen festen Stoff handelt, in dessen Kristallstruktur Wasser eingebaut ist. Durch Erwärmen kann es jedoch aus dem Verband gelöst werden. Das ist wichtig zu wissen, um die vielen tollen Eigenschaften von Gips zu verstehen und zu nutzen.

Gips nutzen - Wie funktioniert das?

Um Gipsstein nutzbar zu machen, muss er zunächst entwässert werden. Dafür wird er in speziellen Brennöfen gezielt erhitzt. Abhängig von der Wärmezufuhr kann das Kristallwasser teilweise oder vollständig ausgetrieben werden. Bei teilweiser Entfernung sprechen wir von Halbhydrat, bei vollständiger von Anhydrit. Beide können dann aufgemahlen mit Wasser zu einem Brei angemischt werden, der sich wunderbar formen lässt und in wenigen Minuten bis Stunden beträchtliche Festigkeit entwickelt. Wenn Sie Gipsstein, also das wasserhaltige Calciumsulfat, zu einem Pulver mahlen und mit Wasser zu einem Brei anrühren, passiert gar nichts, denn Gipsstein hat schon genug Wasser. Wenn Sie Glück haben, finden Sie Anhydrit direkt in der Natur vor – entwässert durch geologische Prozesse – dann können Sie direkt losbauen. Gipsvorkommen sind recht häufig und finden sich weltweit in verschiedenen Ländern.

Stichwort Vorkommen: Wie und wo wird Gips abgebaut?

Gips wird heutzutage über zwei Wege gewonnen: Einmal wird Gips als natürliches Mineral in Form von Gipsstein oder als Anhydrit in Steinbrüchen abgebaut. Es kommt dort vor, wo vor vielen Jahren einmal Meeresbuchten lagen und ausgetrocknet sind. Wir finden ihn in Deutschland recht häufig, bekannte Lagerstätten liegen beispielsweise im Süden und Westen des Harz. Allerdings können wir das Gestein nicht einfach überall dort abbauen wo es vorkommt, oft stehen beispielsweise Städte darauf. In der Theorie würden uns die Lagerstätten aber einige hundert Jahre lang versorgen können.

Gips lässt sich aber auch künstlich herstellen?

Ja, das ist zum Beispiel der sogenannte REA-Gips, der ist für uns Bauleute ganz wichtig. Er entsteht hauptsächlich in Braunkohlekraftwerken, genauer in den heute dort eingebauten Rauchgasentschwefelungsanlagen. In Braunkohle ist recht viel Schwefel enthalten, der bei der Verbrennung freigesetzt wird. Glücklicherweise wird der heute nicht mehr einfach so in die Luft geblasen. In den Anlagen durchlaufen die schwefelhaltigen Abgase eine Flüssigkeit, die Kalkmilch. Es entsteht Gips. Das Mineral ist so gesehen also ein wertvolles Beiprodukt der Kohleverbrennung und da ergibt sich zukünftig ein Problem.

Deutschland will aus der Kohleverstromung aussteigen. Da liegt das Problem?

Ja genau. Für die Natur ist es sehr gut, dass wir uns alternativen, nicht fossilen Energiequellen zuwenden. Doch insgesamt benötigen wir in Deutschland etwa zehn Millionen Tonnen Gips pro Jahr. Der größte Abnehmer ist die Baubranche. Rund 55 Prozent des Bedarfs wird derzeit über REA-Gips gedeckt. Daher müssen wir uns jetzt umschauen, wo wir in Zukunft Gips herbekommen.

Gibt es da schon Lösungen, wie der Gipsbedarf alternativ gedeckt werden kann?

Daran wird derzeit intensiv geforscht. Zum Beispiel, um das Recycling von Gips voranzutreiben. Da besteht bislang noch die Schwierigkeit den Recycling-Gips in derselben, reinen Qualität zu erhalten wie es beim Naturprodukt oder dem REA-Gips der Fall ist. Für anspruchsvolle Stuckarbeiten oder bei hohen Festigkeitsanforderungen wie bei Estrichen arbeitet man derzeit noch gerne mit dem Primärgips, Wandbauplatten dahingegen werden bereits in hoher Qualität mit hohen Recyclinggipsanteilen hergestellt. Das muss mehr werden, denn ich finde es nicht erstrebenswert, dass wir den Raubbau an der Natur nun weiter verstärken, um den Wegfall des REA-Gipses zu kompensieren. Derzeit ist der Recycling-Gips aber noch vergleichsweise teuer und die Akzeptanz noch nicht wirklich vorhanden. Hier wird die Zukunft zeigen, inwiefern wir bereit sind, für eine nachhaltige Zukunft Geld in die Hand zu nehmen.

Bei Gips denken viele an einen gebrochenen Arm. Wo wird Gips eingesetzt?

Man kann Gips in der Medizin schön einsetzen, da er einen neutralen pH-Wert hat und somit sanft zur Haut ist – Stichwort Gipsarm. Mit Zement könnte man das nicht machen, der ist sehr alkalisch und würde die Haut stark reizen. Außerdem quillt Gips beim Abbinden ein bisschen auf, da er ja wieder Kristallwasser aufnimmt. So lassen sich in der Zahntechnik wunderbar Gebissabdrücke ausgießen, da sich der feine Gipsbrei beim Abbinden in die kleinsten Lücken hineindrückt. Auf einem Gipsmodell können dann beispielsweise Zahnspangen oder Prothesen passgenau hergestellt werden.

Und wo finden wir Gips im Bauwesen?

Das ist das größte Anwendungsgebiet. Dass Gips für uns Bauleute so wichtig ist, sieht man heute noch schön in der Schweiz, dort gibt es noch den Beruf der Gipserin oder des Gipsers – in Deutschland spricht man heute eher von der Stuckateurin beziehungsweise dem Stuckateur. Mit Gips lassen sich nämlich wunderbar feingliedrige Raumdekorelemente herstellen, die Stuckarbeiten. Wichtig zu wissen ist, dass Gips gegenüber flüssigem Wasser nicht beständig ist und daher in Innenräumen Anwendung findet.

Zudem lassen sich mit Gipsbausteinen beispielsweise schnell nichtragende Wände herstellen, die sehr gute Schallschutzwerte aufweisen. Als Leichtbauweise lassen sich mit Gipskartonplatten sogenannte Trockenbauwände errichten. Auch als Spachtelmasse und als Wandputz findet Gips im Bauwesen ein breites Anwendungsfeld. Nicht zu vergessen ist die Verwendung im so genannten Calcium-Sulfat-Estrich, welcher sich durch schnelle Festigkeitsentwicklung und einen geringeren Bedarf an Fugen hervorhebt. Da fällt einiges an Masse an, wahrscheinlich deswegen hat das Bauwesen in Deutschland den größten Gipsbedarf. Dazu kommen Schallschutzplatten – das sind die mit den vielen Löchern, die oft an Bürodecken hängen, da Gips in seinem Porensystem den Schall zum Teil schluckt. Außerdem kann er in Form einer Gipsummantelung Holz- und Stahlteile effektiv vor Feuer schützen, zumindest eine Zeit lang. Wenn es brennt, gibt der Gips sein Kristallwasser wieder ab und der dabei austretende Wasserdampf kühlt die Bauteile. Das Gestein selbst ist nicht brennbar. Und noch ein Anwendungsgebiet, das wenige kennen: Ohne ein wenig Gips im Zement – dem Bindemittel von Beton – würde letzterer sofort aushärten, wir könnten gar nicht damit bauen. Man sieht dem eher unspektakulären Gestein auf den ersten Blick gar nicht an, was es alles kann.

Gips schreibt aber auch negative Schlagzeilen. In dem Ort Staufen im Breisgau gehen Häuser kaputt, da sich die Erde immer weiter anhebt. Schuld daran sein soll Gips?

Na ja, Schuld daran ist in erster Linie der Mensch, der den Boden nicht ordentlich untersucht hat. In Baden-Württemberg liegt das Dorf Staufen. Zukunftsorientiert wollte man dort umfangreich mit Erdwärme heizen. Dafür wird tief ins Erdreich gebohrt, um die Wärme des Grundwassers zu nutzen. Die Bohrungen führten aber ausgerechnet durch eine Erdschicht aus Anhydrit, also wasserfreiem Gips. Was ist passiert? Das Grundwasser ist entlang der Bohrlöcher in die Anhydritschicht aufgestiegen. Das Anhydrit hat sich über das Wasser gefreut und sogleich damit begonnen dieses chemisch einzubauen und sich somit wieder in Gipsstein umzuwandeln. Da dies mit einer Volumenvergrößerung einhergeht, hebt sich seitdem die Erddecke mitsamt dem Dorf Staufen unaufhaltsam an – der Ort steht bildlich gesprochen auf einem Hefeteig, der immer größer wird. Die Folgen sind bis heute dicke Risse in den Hauswänden.

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