Europäischer Tag der Logopädie am 6. März: Professorin für Therapiewissenschaften über Schwierigkeiten und Chancen in der Pandemie

Sie stehen auf der langen Liste an Dingen, die Corona erschwert hat: Sprechen lernen und Sprachstörungen therapieren. Doch die Pandemie führte auch zu positiven Neuerungen in der Logopädie, erklärt Prof. Dr. Anke Kohmäscher im Interview.

Frau Prof. Kohmäscher, in den vergangenen zwei Jahren haben wir immer wieder Lockdowns und Schulschließungen erlebt und die Maske ist zum allgegenwärtigen Begleiter geworden. Sind Sprachstörungen dadurch häufiger geworden?

Die Auswirkungen der Pandemie werden sich in den nächsten Jahren zeigen. Dazu gibt es noch keine aktuellen Studien, auf die ich verweisen kann. Natürlich führen geschlossene Kitas und Schulen zu Problemen in der Sprachentwicklung, das lässt sich aber noch nicht beziffern. Es betrifft vor allem jüngere Kinder bis etwa sechs Jahre, die sich in diesem Alter noch in der Sprachentwicklung befinden.

Wie wichtig sind Kitas und Schulen für den Spracherwerb?

Kinder lernen die Sprache über Vorbilder, sie gucken sich das Sprechen also von den Eltern und den Personen in ihrem Umfeld ab. Auffällige Kinder, die Sprachstörungen entwickeln oder sich mit dem Sprechen schwertun, brauchen solche Modelle noch dringender. Gleichaltrige sind dann fast noch wichtiger als die Eltern. An einem Tag im Kindergarten werden die Kinder permanent mit Spaß animiert zu sprechen und Sprache zu lauschen – im Spiel mit anderen Kindern oder beim Vorlesen mit einer Kindergärtnerin oder einem Kindergärtner. Dahingehend ist es wichtig, dass sie wieder vermehrt mit anderen Kindern in Kontakt kommen. 

Was passiert, wenn die Sprachstörungen nicht therapiert werden oder frühzeitig gegengesteuert wird?

Das führt meist zu Folgeproblemen. Beispielsweise legen circa 80 Prozent der stotternden Vorschulkinder ihre Störung ab, bei Grundschulkindern liegt die Wahrscheinlichkeit nur noch bei etwa 50 Prozent. Haben Kinder im Vorschulalter Schwierigkeiten beim Sprechen, einer Vorläuferfähigkeit zum Schreiben, entwickeln sie in der Schule teilweise eine Lese-Rechtschreib-Schwäche. Beispielsweise hören sich das P und B gesprochen sehr ähnlich an. Wenn Kinder lernen, das zu unterscheiden, also ein sogenanntes phonologisches Bewusstsein entwickeln, können sie das auch aufs Schriftliche übertragen. Später in der Schule ist dafür ein direktes Feedback von den Lehrenden wichtig, das können diese nur im Präsenzunterricht leisten. Wenn wir so etwas frühzeitig erkennen und einlenken, lassen sich Folgeprobleme und natürlich auch der Leidensdruck der Betroffenen minimieren.

Auch Logopädiepraxen waren zeitweise geschlossen. Wie wirkt sich das aus?

Es ist ein Glück, dass der dafür zuständige Gemeinsame Bundesausschuss die Videotherapie ermöglicht hat. Das war in Deutschland vor der Pandemie nicht erlaubt, wird nun aber dauerhaft angeboten. Das sehe ich als Gewinn, denn Therapien können flächendeckend weiter angeboten werden. Wir können Betroffene im ländlichen Raum damit sogar besser erreichen als vorher, wenn die Wege zur Praxis lang oder ältere Personen nicht mehr so mobil sind.

Wie gut funktioniert die Videotherapie?

Sie birgt großes Potenzial. In Deutschland stehen wir da noch am Anfang und es gibt viel Forschungsbedarf, aber es funktioniert gut. Das zeigen auch die Erfahrungen aus Ländern wie den USA oder Australien. Die Entfernungen sind dort weiter, daher gibt es die Videotherapie schon lange – sogar mit extra für die Onlineanwendung konzipierten Therapieprogrammen. Ich sehe die Videotherapie als gute Ergänzung zu persönlichen Therapietreffen, allerdings nicht als kompletten Ersatz. Denn natürlich gibt es Einschränkungen: Bei manchen Störungsbildern wird es schwierig, etwa bei Stimmstörungen, denn da muss die Tonqualität sehr gut sein. Auch Schluckstörungen lassen sich nur mit Präsenzübungen behandeln. Und bei sozialschwächeren Familien ist nicht immer ein PC oder Tablet mit Kamera und Mikrofon vorhanden.

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