Automatischer Rollstuhl unterstützt bei der Gangschule

Ein Team aus dem Labor für Biomechatronik hat einen automatisch fahrenden Rollstuhl entwickelt: eine mobile Sitzgelegenheit für Patient*innen, die wieder laufen lernen müssen.

Bei der Gangschule lernen Patient*innen, die zum Beispiel einen Schlaganfall erlitten haben, wieder zu gehen. Mithilfe ihrer Therapeut*innen und eines Rollators gehen sie einen Schritt nach dem anderen. Doch wenn sie erschöpft sind, bedarf es schnell einer Möglichkeit, sich hinzusetzen. Die Therapeut*innen Marion von Rüden und Kristin Schulte arbeiten beim St. Marien-Hospital Marsberg (MHM). Bei der Gangschule führen sie in der Regel einen Rollstuhl mit sich, um eine mobile und flexible Sitzgelegenheit zu schaffen. Doch den Rollstuhl durch die schmalen Klinikgänge zu manövrieren und dabei noch die Patient*innen sicher zu begleiten, ist mühsam. Deshalb haben sie sich an den Fachbereich Physikingenieurwesen unserer Hochschule gewandt: Gibt es eine Möglichkeit, eine Vorrichtung zu entwickeln, die eine automatische Mitführung einer Sitzgelegenheit während der Gangschule ermöglicht? Ein Team um Prof. Dr. David Hochmann vom Labor für Biomechatronik hat sich der Aufgabe im Projekt „MoRe: Mobilitätsuntersuchung in der Rehabilitation“ angenommen. Der Student Leon Wösting hat dafür im Rahmen einer Forschungsarbeit im Masterstudiengang Biomedizinische Technik einen Aufsatz für handelsübliche Rollstühle konzipiert, der mithilfe eines Sensors automatisch hinter den Patient*innen herfährt.

Möglich ist dies, wenn die Patient*innen ein extra angefertigtes, grün- und pinkfarbenes Schild mit einem Klettgurt um die Hüfte tragen. Dies erkennt ein Kamerasensor. Mit diesen Informationen kann ein Mikrocontroller den Rollstuhl so ansteuern, dass er den Patient*innen auf Schritt und Tritt folgt. „Das System übernimmt die Abstandsmessung und Richtungsbestimmung. Es bremst automatisch, wenn die Patientinnen und Patienten stehenbleiben“, erklärt Wösting. Gemeinsam mit Hochmann und Andre Hanekamp hat er einen Standardrollstuhl mit zwei Motoren und dem kamerabasierten Kontrollsystem ausgestattet. „Das System ist modular und kann an Rollstühle verschiedener Hersteller angebracht werden“, so der 23-Jährige. Zudem ist der Rollstuhl zusätzlich gesichert, damit er beim Hinsetzen nicht zurückrollt. Durch die Motoren verfügt er – zusätzlich zu den konventionellen Handbremsen – über ein Gegenmoment, ähnlich der Motorbremse beim PKW. Da die Motoren die Räder unabhängig voneinander ansteuern, ist der Rollstuhl zudem sehr wendig – bei den schmalen Klinikgängen eine vorteilhafte Eigenschaft.

„Der Rollstuhl ist eine flexible und mobile Sitzgelegenheit während der Gangschule“, so Wösting. „Er hilft auch den Therapeutinnen und Therapeuten, die nicht mehr gebeugt den Rollstuhl schieben müssen und sich so vollkommen auf die Therapie konzentrieren können.“ Das Projekt wird durch das Institut für Interdisziplinarität in Gesundheit – Technik – Arbeitsfähigkeit (IGTA) der FH Münster gefördert.

Bei einem Termin mit von Rüden und Schulte vom MHM hat das Team aus dem Labor für Biomechatronik den Rollstuhl erstmals vorgestellt. „Es ist kein Prototyp, sondern ein Demonstrator“, erklärt Hochmann. Das bedeutet: Hochmann, Wösting und Hanekamp haben bewiesen, dass es möglich ist, den Rollstuhl entsprechend zu modifizieren. Nun müsste das Gerät unter echten Bedingungen getestet und anschließend weiterentwickelt werden, um es wirklich in einer Klinik einsetzen zu können. Die Therapeutinnen aus dem Klinikum freuen sich bereits jetzt über das erste Ergebnis: „Es ist toll, dass das Problem wissenschaftlich angegangen worden ist. Wir sehen darin eine Möglichkeit, Therapeutinnen und Therapeuten langfristig zu entlasten.“

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