FH-Forscher fordert Einführung von E 20 und Alkohol-Autos

„Höherer Biokraftstoff-Anteil ließe sich aus heimischer Produktion decken“


Münster (23. Juli 2012). Die Einführung von E 20 und Alkohol-Autos fordern Prof. Dr. Christof Wetter von der Fachhochschule Münster und Privatdozent Dr. Thomas Senn von der Universität Hohenheim. Der dafür höhere Biokraftstoff-Anteil ließe sich aus heimischer Produktion decken. Wie das aussehen könnte, sagen sie im „Strategiepapier Bioethanol“.

Bislang produzieren rund 400 mittelständische Brennereien in Deutschland Alkohol für Spirituosen, Essig, die Pharma- und die Kosmetik-Industrie. Künftig könnten sie Getreide- und Kartoffel-Überschüsse der EU zu Biosprit vergären, so der Vorstoß des Forscherduos. Kombiniert mit Biogas aus den Abfallstoffen der Brennereien ließe sich so eine hocheffiziente, dezentrale und nachhaltige Bioenergie-Nutzung aufbauen. Voraussetzung seien politische Vorgaben, Anreize sowie eine Aufklärungs- und Akzeptanzkampagne.

Kurze Wege vom Anbau über die Produktion bis zum Absatz: Das seien die Vorteile, die die heimische Alkohol-Produktion für Biosprit so interessant machen. „Durch die dezentrale Produktion schneidet die Bioethanolproduktion in Deutschland bei jeder Nachhaltigkeits-Bilanz besonders gut ab“, erklärt Senn von der Fachgruppe Gärungstechnologie der Universität Hohenheim. Noch besser schnitten neue Anlagen ab, die Bioethanol und Biogas kombinierten. Denn bei der Alkohol-Produktion fallen Reststoffe an, die sich in Biogas umwandeln lassen. „Damit kann jede Anlage ihren Energiebedarf selbst decken“, ergänzt Wetter vom Fachbereich Energie - Gebäude - Umwelt der FH Münster.

Die Energie-Experten haben Energie-Ausbeute und die entstehende Menge an Treibhausgasen mit anderen Formen von Bioenergie verglichen. Fazit: „Die dezentrale Kombination Biosprit/Biogas schneidet mit am besten ab“, so Wetter. Verglichen mit Superbenzin spare Bio-Ethanol 40 bis 90 Prozent CO2 ein. Gleichzeitig gäbe es neue Technologien, die eine Produktion erlaubten, ohne die Lebensmittelproduktion negativ zu beeinflussen. „Technische Probleme sind nicht zu erwarten und die erforderlichen Ethanolmengen sind grundsätzlich verfügbar“, sagt Senn.

Konkret fordern die beiden Forscher deshalb zwei Neuerungen an den Tankstellen von Deutschland und der EU: E 20 statt E 10-Benzin, bei dem 20 Prozent des Superbenzins durch Ethanol ersetzt werden, und E 85 als neuer, größtenteils Ethanol-basierter Kraftstoff, für den die Fahrzeuge noch umgerüstet werden müssten. Technisch gesehen könnten alle Fahrzeuge, die heute schon mit E 10 fahren, grundsätzlich mit E 20 fahren. In Brasilien seien wesentlich höhere Ethanol-Anteile bereits Praxis. Die USA gaben vergangenen Winter bereits E 15 frei. Mittelfristig werde sich das hochprozentige E 85 zu einer günstigen Preis-Alternative entwickeln. „Mit steigenden Ölpreisen wird E 85, welches seit Jahren preislich stabil ist, immer attraktiver“, erklärt Senn. Autos, die E 85 fahren können, seien heute bereits in Deutschland erhältlich. Mehrkosten: 30 bis 300 Euro pro Fahrzeug.

Die Gefahr, dass deshalb weniger Nahrungsmittel produziert und der Welthunger ansteige, sehen die beiden Forscher nicht. Zum Einsatz sollen insbesondere Überschüsse und als Lebensmittel nicht verkäufliche Waren aus der Agrarproduktion kommen. Gleichzeitig sei dies jedoch auch ein limitierender Faktor. Durch Bioethanol könnten nur 10 bis 20 Prozent des Kraftstoff-Bedarfes abgedeckt werden, doch das gelte generell für alle Formen der Bioenergie im Vergleich zum Gesamtenergiebedarf. Trotzdem ließen sich die Klimaziele der EU ohne den Beitrag der Bioenergien nicht erreichen. Wichtig bleibe der Mix aus verschiedenen Formen von erneuerbaren Energien – mit Biokraftstoffen aus heimischer, dezentraler und nachhaltigkeits-zertifizierter Produktion als einer Säule.

Zum Thema Strategiepapier

Ihr Strategiepapier präsentieren die beiden Forscher in einem politisch günstigen Moment. Derzeit gibt es rund 400 meist mittelständische Brennereien in Deutschland. Pro Jahr produzieren sie jeweils 1.000 bis 2.000 Hektoliter reines Ethanol. Nach geltendem Gesetz darf dieser Industrie-Alkohol nur an den staatlichen Stellen verkauft werden. Von dort fließt das Ethanol in die Spirituosen- und Essigproduktion sowie in die Pharma- und die Kosmetik-Industrie. Im Oktober 2013 soll das sogenannte Branntwein-Monopol des Staates jedoch fallen. Verglichen mit dem Weltmarkt und Großerzeugern seien diese kleinen Unternehmen jedoch ohne Modernisierung der Anlagen nicht konkurrenzfähig. Deutschland sei in Gefahr, seine flächendeckende, dezentrale Infrastruktur samt vorhandenem Know-how zu verlieren.

Um Bioethanol als nachhaltigen Kraftstoff zu fördern, fordert das Forscherduo aus Hohenheim und Münster deshalb mehrere Schritte. Erstens eine verlängerte Steuerbefreiung auf Ethanol im Superbenzin bis 2023: Bei weiter steigenden Kraftstoffpreisen werde Bioethanol im Vergleich zu Ottokraftstoff kostengünstiger und die Steuerbefreiung kann reduziert oder aufgehoben werden. Zweitens ein Anreizsystem und eine vereinfachte, einheitliche Regelung für die Umrüstung von Tankstellen: Beispiele aus Brasilien, den USA, Frankreich und Schweden zeigten, dass ein flächendeckendes Angebot von E 85 zu einem erhöhten Absatz führt. Drittens Investitionsanreize für landwirtschaftliche Brennereien: Die dezentrale Struktur sei ein strategischer Vorteil. Trotzdem müssten die Anlagen modernisiert und mit Biogas-Technologie kombiniert werden. Viertens eine Informations- und Aufklärungskampagne: Die sehr gute und zertifizierte Treibhausgasbilanz aus dezentraler Produktion zeige, dass insbesondere durch dezentrale Bioethanolproduktion die Nachhaltigkeitskriterien weit unterboten würden. Eine entsprechende Kampagne müsse deshalb das Image des Biokraftstoffes verbessern.

Zum Hintergrund der Bioenergieforschung an der FH Münster

Bioethanol ist nur eine Facette in den umfangreichen Forschungsaktivitäten der Fachhochschule Münster zu den Themenkomplexen Bioenergie und (Welt)-Ernährung. Dazu gehören das junge Forscherteam für Bioenergie und nachwachsende Rohstoffe um Prof. Wetter genauso wie das Forschungsinstitut für nachhaltige Ernährung und Ernährungswirtschaft (iSuN) sowie das jüngste Forschungsinstitut der Fachhochschule, das Institut für Wasser - Ressourcen - Umwelt (IWARU). Zum Ausbildungsangebot gehören der Bachelorstudiengang Energie-, Gebäude- und Umwelttechnik und die Masterstudiengänge Technisches Management in der Energie-, Gebäude und Umwelttechnik sowie Ernährung und Gesundheit.

Der volle Wortlaut des Strategiepapiers steht unter www.fh-muenster.de/egu/bioethanol.

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Christof Wetter
Fachhochschule Münster /Fachbereich Energie - Gebäude – Umwelt
Telefon: 0251 83-62725 / E-Mail: wetterfh-muensterde

Priv. Doz. Dr. Thomas Senn
Universität Hohenheim / Forschungs- und Lehrbrennerei
Telefon: 0711 459-23353 / E-Mail: Thomas.Sennuni-hohenheimde


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