Ein Schlüssel zur Bildungsgerechtigkeit?

Maren Davids plädiert in ihrer Masterarbeit für die stärkere Berücksichtigung kindlicher Interessen im öffentlichen Raum


Münster (20. Mai 2020). Die erste PISA-Studie vor 20 Jahren war ein Schock für das deutsche Bildungswesen – und damit für Eltern, Lehrer und Politiker. Besonders auffällig war die Bildungsungerechtigkeit. Zwar folgten Reformen, doch belegen Studien nach wie vor einen auffälligen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischem Erfolg. „Die herkunftsbedingte und quartiersbezogene Bildungsbenachteiligung von Kindern ist immer noch ein Problem“, sagt Maren Davids. In ihrer Masterarbeit an der FH Münster beschäftigte sie sich mit dem Potenzial der informellen Bildung im öffentlichen Raum und jenen Bildungsgelegenheiten, die sich beiläufig ergeben. Diese können in Kontakten mit anderen Menschen oder mit Fauna und Flora entstehen. Auch Orte in der Stadt, denen öffentlich kein Bildungsauftrag zugeschrieben wird, bieten wichtige Bildungsanregungen: Ein Besuch im Supermarkt kann Kinder dazu anregen, den Umgang mit Geld, Reizüberflutung und spontanen Bedürfnissen zu erlernen.

„In der informellen Bildung liegt ein großes Potenzial, was aktuell aber kaum genutzt wird“, erklärt die Absolventin des Studiengangs Jugendhilfe am Fachbereich Sozialwesen. Zunehmend würden Kinder den Großteil des Tages institutionell betreut und der öffentliche Raum vermehrt an den Bedürfnissen von Erwachsenen ausgerichtet, wie der ständige Ausbau des Straßenverkehrs verdeutliche. „Wir sehen eine Verinselung von Kindheit“, erklärt Davids: „Es fehlen Freiräume für Kinder, ganz besonders in benachteiligten Quartieren. Dabei bietet der öffentliche Raum – jenseits der häuslichen und familiären Bedingungen – eine Chance, zur Bildungsgerechtigkeit beizutragen“, so Davids. „Das in diesen vielfältigen lebensrelevanten Kontexten erlernte und erworbene Verhaltensrepertoire kann zur autonomen Lebensführung beitragen – neben den Inhalten, die in der Schule vermittelt werden.“

Davids ist in der Masterthesis der Frage nachgegangen, „wie die informelle Bildung im öffentlichen Raum durch das Konzept der Bildungslandschaften an Durchschlagskraft gewinnen kann“. Bildungslandschaften, das sind Netzwerke zwischen allen Akteuren, die im Kontext von Bildung aktiv sind. Die Absolventin ist sich sicher: „Wenn Bildung und Stadtentwicklung in gemeinsamer Verantwortung gedacht werden, können die kindlichen Interessen im öffentlichen Raum viel besser berücksichtigt werden. Nur wenn informelle Bildungsgelegenheiten im öffentlichen Raum auch in Quartiersplanungen berücksichtigt werden, wird die Chancengerechtigkeit von Kindern gefördert.“ Die größte Barriere sei derzeit der Straßenverkehr, der es Kindern erschwere umfassend – egal ob mit oder ohne Bezugspersonen – am Alltagsleben im öffentlichen Raum teilzunehmen. Wie Gefahren für Kinder reduziert werden können, müsse die Stadtplanung mehr in den Blick nehmen, so Davids.

„Tatsächlich habe ich bei meiner Recherche nicht feststellen können, dass das Konzept der Bildungslandschaften derzeit das Zusammendenken von Stadtentwicklung und Bildungsplanung befördert.“ Davids Appell: „Wir müssen weg von der zunehmenden Inszenierung von Bildung hin zu mehr lebensweltlichen Bildungsbezügen für Kinder. Beispielsweise lernen Kinder den Straßenverkehr mit seinen Regeln am besten auf dem regelmäßigen Fußweg zur Kita oder zur Schule kennen. Hier kann jeder seinen Teil beitragen – Eltern, Pädagogen und Politiker.“ Inzwischen arbeitet Davids beim Landesverband Kindertagespflege NRW e.V., der sich der Qualitätssicherung und -entwicklung im Feld der Kindertagespflege verschrieben hat.

„Maren Davids hat sich in beeindruckender und sensibler Weise mit einem politisch brisanten Thema auseinandergesetzt“, sagt die Gutachterin der Abschlussarbeit, Prof. Dr. Kathrin Aghamiri. „Es gelingt ihr, sowohl das Recht von Kindern auf eigensinnige Erfahrungen in städtischen Räumen zu begründen als auch die Verantwortung der Entscheidungsträger dafür aufzuzeigen.“ Für ihre Masterthesis wurde Davids mit dem Hochschulpreis der FH Münster und der Gesellschaft der Freunde der FH Münster e. V. (gdf) ausgezeichnet und erhielt eine Urkunde – ausnahmsweise auf dem Postweg. Denn die Feierstunde „Ausgezeichnet.“ fällt wegen Corona aus.

Zum Thema: Gerade einmal ein Prozent aller Absolventinnen und Absolventen eines Jahrgangs erhält ihn: den Hochschulpreis. Jedes Jahr kürt das Präsidium gemeinsam mit der Gesellschaft der Freunde der FH Münster e. V. (gdf) auf Vorschlag der Fachbereiche und der Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung die besten Abschlussarbeiten. Zu den Preisträgerinnen und Preisträgern des Hochschulpreises 2020 für die besten Arbeiten aus 2019 gehört auch Maren Davids vom Fachbereich Sozialwesen. Eine vollständige Übersicht aller gewürdigten Absolventinnen und Absolventen ist im Jahresbericht 2019 ab Seite 46 abrufbar: fhms.eu/jahresbericht-19.


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