Orthesen aus dem 3D-Drucker

Forschungsprojekt an der FH Münster untersucht neuartigen Ansatz


Münster/Steinfurt (23. Juli 2020). Ist ein Handgelenk gestaucht, sorgt eine Schiene – die sogenannte Orthese – für Stabilität: Das Gelenk wird ruhiggestellt und kann dadurch heilen. Betroffene Patientinnen und Patienten bekommen Orthesen im Sanitätsfachgeschäft. Doch dort gibt es sie nur von der Stange, also in unterschiedlichen, aber standardisierten Größen. Schlimmstenfalls bedeutet das: Orthesen rutschen, drücken und verlieren dadurch womöglich ihre Wirkung. Eine individuelle Anfertigung erfolgt nur bei bestimmten Erkrankungen, denn der handwerkliche Aufwand ist enorm. Prof. Dr. David Hochmann vom Labor für Biomechatronik der FH Münster will das ändern. Er arbeitet gemeinsam mit seinem Team im Projekt SIGMA3D – das steht für „Simulationsgestützte Medizintechnikplattform zur individuellen 3D-Hilfsmittelversorgung“ – an einer Lösung. Die Vision: Mit einem 3D-Drucker medizinische Hilfsmittel produzieren – individualisiert, kostengünstig, schnell und überall. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt. Doch der Weg zum Ziel ist noch lang.

„Ein vollständig digitaler Fertigungsprozess existiert bislang noch nicht“, sagt Hochmann. Das liege vor allem an den vielen fertigungstechnischen, regulatorischen, prüftechnischen und konstruktiven Herausforderungen. „Ein Medizinprodukt muss auf seine Sicherheit geprüft werden. Eine industriell gefertigte Orthese muss zum Beispiel vor ihrem Einsatz in den Prüfstand. Allerdings stellt jede individuelle Anpassung am Produkt eine Änderung an der Konstruktion dar. Das führt dazu, dass die Orthese bei jeder kleinsten Anpassung erneut geprüft werden muss – was alles unnötig verzögern und verteuern würde.“ Hochmann und sein Team schlagen deshalb vor, die physikalische Prüfung mit einem Musterexemplar – entstanden im 3D-Drucker – durchzuführen und als digitales Modell in einen Computer einzuspeisen. Alle Parameter, die später daran verändert werden, fließen in das Modell mit ein. „Das Ergebnis wäre eine validierte Computer-Simulation, durch die zeitintensive Prüfungen entfallen, Anpassungen aber trotzdem sicher sind. Die Patientinnen und Patienten hätten somit viel schneller ihr Produkt.“ Und das im Prinzip überall dort, wo ein 3D-Drucker steht.

Ob dieser Ansatz wirklich funktioniert, untersucht das Team der FH Münster in enger Zusammenarbeit mit mehreren Industriepartnern. Das Ziel ist, eine komplett digitale Plattform für 3D-gedruckte Orthesen aufzubauen und an konkreten Beispielen zu erproben. Das Team ist im Forschungsvorhaben für mehrere Arbeitspakete zuständig, zum Beispiel für eine 3D-Druck-gerechte biomechanische Konstruktion der Orthesen sowie für die Entwicklung geeigneter Verfahren zu deren Prüfung. Vor allem aber geht es im Steinfurter Labor für Biomechatronik um die regulatorischen Vorgaben. „Wir begleiten das Projekt im Hinblick auf aktuelle und zukünftige regulatorische Anforderungen und stellen dadurch sicher, dass die im Projekt entwickelten Vorgehensweisen regelkonform bleiben“, erklärt die stellvertretende Projektleiterin Ann-Kathrin Carl.

Seit 1. März läuft das Projekt SIGMA3D. „Zum Glück“, sagt Hochmann. Denn wegen Corona geht jetzt alles langsamer. „Wäre der Start für später angesetzt, wäre es in diesem Jahr vermutlich gar nicht mehr dazu gekommen.“ Die Auswirkungen der Pandemie auf das Projekt seien deutlich zu spüren. Gerade im Bereich der Produktentwicklung sei man auf den Kontakt mit den Sanitätshäusern angewiesen. „Diese haben angesichts der gegenwärtigen Situation schlichtweg andere Sorgen. Für uns ist es aber wichtig, dass wir Fachleute aus der Praxis einbeziehen. Denn nur so erfahren wir aus erster Hand, was im Alltag funktioniert und was nicht.“ Auch die Einbeziehung der Patientinnen und Patienten erfordere persönliche Treffen und Körperkontakt und funktioniere daher momentan nur eingeschränkt.

In den letzten Monaten kam das Team gut zurecht, trotz Corona. „Wir sind alle weitestgehend im Homeoffice, arbeiten von da aus an SIGMA3D und tauschen uns per Videokonferenzen aus.“ An ihrem großen Ziel halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest. „Wir wollen einen stabilen Prozess entwickeln und nachweisen, dass die Herstellung von medizinischen Hilfsmitteln im 3D-Drucker tatsächlich funktioniert“, sagt Hochmann.


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