Ein Druckpunkt mit großer Wirkung

Studentinnen der Biomedizinischen Technik entwickelten ein Jahr lang Atlasimpuls-Simulator „ANNE“


Münster/Steinfurt (4. November 2020). Es ist ein kleiner, kurzer und fester Impuls auf den ersten Halswirbel, den sogenannten Atlas – mit großer Wirkung. Denn dieser Impuls hilft nicht nur gegen Beschwerden im Nacken, sondern wirkt unter anderem auf die Grundspannung der Muskulatur allgemein. Doch der Griff, den Ärztinnen und Ärzte anwenden, muss sitzen. Nur dann ist er wirksam, schmerzfrei und ohne unerwünschte Wirkungen. Also üben die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer der Ärztegesellschaft für manuelle Kinderbehandlung und Atlastherapie (ÄMKA) e.V. am Atlasimpuls-Simulator. Allerdings war dieser im Laufe der Zeit in die Jahre gekommen, das bisherige Modell – ein ovales Konstrukt aus Leder – nicht mehr zeitgemäß und noch weniger auf dem aktuellen Stand der Technik. Ein neuer Simulator musste her, und den konstruierten und bauten zwei Studentinnen der FH Münster. Fast ein Jahr lang, mit Unterbrechungen bedingt durch Corona, feilten Corinna David und Janina Leusmann unter Leitung von Prof. Dr. David Hochmann im Labor für Biomechatronik an ihrem Modell. Jetzt übergaben sie das Ergebnis ÄMKA-Vertreterinnen und Vertretern in Steinfurt.

Der neue Atlasimpuls-Simulator sieht aus wie ein richtiger Kopf, ist aber vorrangig im 3D-Drucker entstanden. „Uns war es wichtig, den menschlichen Kopf möglichst real nachzubilden“, sagt Corinna David. Als Grundlage nahmen die Studentinnen der Biomedizinischen Technik ein digitales Modell eines Kopfes und modellierten die bestehende Datei so lange, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden waren. Als der Kopf im 3D-Drucker produziert war, bekam er einen Kunststoffüberzug, um die Hautgriffigkeit bestmöglich nachzuempfinden. Zudem wurde die Nachgiebigkeit des Weichgewebes am Hals durch spezielle Silikon-Mischungen nachgebildet. Dann ging es mit dem Innenleben weiter. „Eine Anforderung war, beim Üben mit dem Simulator die ausgeübten Kräfte genau zu messen und darzustellen. Deshalb haben wir ein Softwareprogramm geschrieben“, so Leusmann. Und das war ziemlich viel Arbeit, denn für beide völlig neu. „Aber als wir wegen der Teilschließung der Hochschule im März vorübergehend nicht mehr ins Labor durften, konnten wir die Arbeit am Programm sehr gut auch von zu Hause aus erledigen“, erzählt Corinna David.

Die Messung gelingt dank Dehnungsmessstreifen, die sich an einem Verformungskörper unterhalb des Kopfes befinden. Die Dehnungsmessstreifen sind über Kabel mit der ausgelagerten Elektronik, die zur Erfassung der Signale dient, verbunden, und die Elektronik ist via USB mit einem Laptop verknüpft. Der Kopf selbst sitzt auf einem Rohr, und das gesamte Konstrukt ist auf einer Platte montiert. Das sorgt für Standsicherheit und einen besseren Griff bei der Atlastherapie. Wie gut das funktioniert, probierte Dr. Freerk Barth, zweiter Vorsitzender der Ärztegesellschaft für manuelle Kinderbehandlung und Atlastherapie (ÄMKA e.V.), bei der Übergabe direkt aus: Er legte seine Hand auf den ersten Halswirbel, den Atlas, ertastete dessen Querfortsatz und gab darüber einen kurzen, festen Impuls. Sofort zeigte der Computermonitor die ausgeübten Kräfte in einem Kurvendiagramm an. Mit der Arbeit der Studentinnen ist er sehr zufrieden. „Die beiden haben wirklich Außerordentliches geleistet und sehr viel Energie in das Projekt gesteckt. Das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen“, sagt Dr. Barth.

„ANNE“ haben die Studentinnen ihren Atlas-Impulssimulator genannt, das steht für „Anthropometric Neck Emulation“. Der Prototyp geht jetzt in die Versuchsreihe und hatte zuvor schon seinen großen Auftritt: Ende Oktober präsentierte die ÄMKA ihn bei der digitalen Konferenz der International Federation for Manual/Musculoskeletal Medicine (FIMM), der internationalen Dachgesellschaft für manualtherapeutische nationale Gesellschaften.


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