Neue EU-Verordnung stellt Hilfsmittelbranche vor Herausforderungen

Ann-Kathrin Carl von der FH Münster hat eine Online-Umfrage durchgeführt


Münster/Steinfurt (12. April 2021). Brustimplantate, Orthesen oder Prothesen sind Medizinprodukte, die eine Gemeinsamkeit haben: Um auf den Markt zu kommen und Sicherheit zu gewährleisten, müssen bestimmte regulatorische Vorgaben eingehalten werden. Doch das reicht ab dem 26. Mai 2021 auch für bereits zugelassene Medizinprodukte nicht mehr aus. Denn dann endet die Übergangsfrist, um die Anforderungen der Europäischen Verordnung über Medizinprodukte, der Medical Device Regulation (MDR), zu erfüllen. Für viele Unternehmen der Hilfsmittelbranche bedeutet die MDR enorme Herausforderungen: Die Anforderungen erhöhen sich, alte Zulassungen verlieren ihre Gültigkeit. Ann-Kathrin Carl, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor für Biomechatronik der FH Münster, hat die derzeitige Situation bewertet und eine Online-Umfrage durchgeführt. Rund 150 Unternehmen aus ganz Deutschland nahmen daran teil – eine Zahl, die selbst Carl überrascht.

„Damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt sie. Die hohe Teilnahmebereitschaft zeige, dass die MDR auch kurz vor dem Ende der Übergangsfrist ein „brennendes“ Thema ist. Die Umfrage habe einige Risiken aufgedeckt, über die bisher wenig gesprochen wurde. Prof. Dr. David Hochmann, Leiter des Labors für Biomechatronik, bringt die Probleme auf den Punkt: „Produkte, die wenig verbreitet und damit wirtschaftlich nicht attraktiv sind, wurden bislang trotzdem hergestellt, um den wenigen Patient*innen helfen zu können. Unsere Befragung zeigt jedoch, dass viele Firmen planen, ihr bestehendes Produktportfolio zu verkleinern, wenn die Verkaufszahlen die zusätzlichen Kosten durch die MDR nicht rechtfertigen. Darunter leiden vor allem Patient*innen mit seltenen Erkrankungen. Für sie wird es dann unter Umständen weniger Medizinprodukte auf dem Markt geben.“

Jene Produkte, die auf dem Markt bleiben, werden teurer, prophezeit der Hochschullehrer. „Außerdem kann zukünftig die Innovationskraft der Medizintechnikbranche sinken. Kleine Start-ups werden kaum mehr in der Lage sein, den zusätzlichen finanziellen und personellen Aufwand zu bewältigen. Aber auch größere Firmen berichten in der Umfrage, dass sie Personal aus dem Bereich Forschung und Entwicklung zur Bewältigung des regulatorischen Aufwands abziehen müssen.“ Carls Umfrage habe bestätigt, dass die MDR erhebliche Auswirkungen auf das Produktportfolio der Hersteller und die Innovationsfähigkeiten habe.

Dabei sollte die MDR eigentlich eingeführt werden, um Risiken für Patient*innen geringer zu halten. „Auslöser war der Skandal um die Brustimplantate eines französischen Herstellers vor rund zehn Jahren. Um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt, wurden die Regularien erheblich verschärft. Doch das löst nicht das eigentliche Problem, nämlich das der fehlenden Kontrolle“, sagt Hochmann. „Viele Aspekte der MDR lassen Spielraum zur Interpretation, und Unternehmen haben dazu zahlreiche offene Fragen“, berichtet Carl. Im Bereich der Hilfsmittelversorgung gibt es beispielsweise Unklarheiten bei dem Begriff der Sonderanfertigung. „Es ist nicht klar, ob 3D-gedruckte Hilfsmittel, die zunehmend eine wichtigere Rolle spielen, gemäß der Definition der MDR Sonderanfertigungen sind“, sagt Carl. Es existieren verschiedene Interpretationen, die EU-Kommission arbeite derzeit an einem Leitfaden. „Sicher ist nur, dass die MDR auf jeden Fall kommt, allem Unmut zum Trotz.“

„Fast jedes vierte Unternehmen gab in der Umfrage an, über keine bis geringe Kenntnisse der neuen Regularien zu verfügen“, sagt Carl. Die Umsetzung der MDR bereite allen Firmen, unabhängig von der jeweiligen Mitarbeiterzahl, Probleme. Die MDR werde von den meisten Unternehmen als herausfordernd empfunden, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin. „Außerdem haben 16 Prozent der Befragten angegeben, noch gar nicht mit der Implementierung begonnen zu haben“, erläutert Carl. Eine ihrer Fragen lautete: Welche möglichen Chancen sehen Sie durch die EU-MDR für Ihr Unternehmen? „Die Antwortmöglichkeiten waren bewusst nicht negativ formuliert, zur Auswahl stand aber die Option ‚Sonstiges‘.“ Ein Viertel der Befragten habe dies angekreuzt, um in das freie Feld daneben nur ein Wort einzutippen: „keine“.


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