Vergütung nach Leistungsart in der ambulanten Pflege – oder besser nach Zeit?

Elena Schroer untersuchte in ihrer Masterarbeit die zwei grundsätzlichen Abrechnungskriterien


Münster (16. Juni 2021). Pflegebedürftige finden immer schwieriger einen ambulanten Pflegedienst, um zu Hause versorgt werden zu können. Laut einer Abfrage der Kommission Pflegeversicherung der Freien Wohlfahrtspflege NRW im Jahr 2018 musste im Durchschnitt jeder Pflegedienst in NRW 10,5 Pflegeanfragen ablehnen – und die Tendenz ist steigend. Damit ambulante Pflegedienste mehr Pflegekräfte für den ambulanten Sektor gewinnen können, müsste die Attraktivität für die Pflegekräfte gesteigert werden. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre, die Abrechnungsart für Pflegeleistungen zu ändern. Damit hat sich Elena Schroer in ihrer Masterarbeit am Fachbereich Gesundheit der FH Münster beschäftigt: Sie hat die Abrechnung in der ambulanten Pflege nach Leistungskomplexen der Abrechnung nach Zeit gegenüberstellt.

„Es ist nicht erst seit Corona so, dass der Personalmangel in der ambulanten Pflege immer größer wird. Die Folge ist, dass immer mehr Pflegebedürftige in anderen Versorgungsstrukturen, wie Alten- und Pflegeheimen, versorgt werden müssen – was natürlich viel teurer für die Pflegebedürftigen und das soziale Sicherungssystem ist“, sagt die gelernte Kauffrau im Gesundheitswesen und Absolventin des Studiengangs Management in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen. „Ich habe mich gefragt, wie das Dilemma zu lösen ist. Weniger Zeitdruck könnte ein Teil der Lösung sein, welcher durch das Abrechnungssystem nach Leistungskomplexen entsteht. Also könnte auf den ersten Blick die Abrechnung nach Stundensätzen eine Alternative sein, aber auch dies ist problematisch“, erklärt die 31-Jährige, die bei der Gesellschaft für Pflegesatzverhandlungen caritativer Einrichtungen und Dienste in der Diözese Münster als Entgeltreferentin arbeitet und Vergütungsvereinbarungen für die Pflegedienste mit den Kostenträgern verhandelt. Sie hat die Vorteile und Nachteile der beiden Abrechnungsvarianten diskutiert und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet. Das Fazit: Die Zeitvergütung könnte tatsächlich eine alternative Abrechnungsmöglichkeit in der ambulanten Pflege sein, allerdings aus ihrer Sicht derzeit vorrangig für Leistungen in der Betreuung und hauswirtschaftlichen Versorgung.

Probleme bei einer reinen Zeitvergütung sieht Schroer vor allem bei zwei Aspekten: Zum einen ist die Trennung der Pflegeleistungen von den Leistungen der häuslichen Krankenpflege schwierig, da beide Leistungsarten häufig in einem Einsatz erbracht werden. Die Refinanzierung erfolgt jedoch von unterschiedlichen Kostenträgern, sodass eine Trennung zwingend erforderlich ist. Zum anderen sieht Schroer es als schwierig an, „alle Kostenbestandteile – wie die Vorbereitungszeiten für die Einsätze oder auch Abwesenheitszeiten für Urlaub, Krankheit und Fortbildung mit den Kostenträgern – verhandelt zu bekommen“.

Aufgrund dieser Hindernisse plädiert Schroer dafür, dass die pflegerischen Leistungskomplexe beibehalten und zeitmäßig höher bewertet werden. „So würde mehr Raum für die zwischenmenschlichen Aspekte mit dem Pflegebedürftigen bestehen, und der mögliche Stress könnte aus der Versorgungssituation herausgenommen werden“. Außerdem wünscht sich Schroer die Aufnahme von Leistungskomplexen für bestimmte Situationen, die durch einen pauschalierten Leistungskomplex nicht abgedeckt werden. Dazu zählen etwa Leistungen in bestimmten Krisensituationen und Leistungen, um die Selbstständigkeit nach einem Krankenhausaufenthalt wiederzuerlangen. Dadurch würde auch die pflegefachliche Kompetenz der Mitarbeiter*innen wieder mehr im Fokus stehen.

Unabhängig von der Abrechnungsart will Schroer eines auf keinen Fall: eine Pflege nach der Stoppuhr. Ihr geht es vor allem darum, die Klient*innen bedarfsgerecht und qualitativ hochwertig versorgen zu können sowie den Beruf von ambulanten Pflegekräften attraktiver zu machen. „Am schönsten für mich ist es, wenn ich in genau diesem Sinne gemeinsam mit den Einrichtungen eine gute Vergütung gegenüber den Kostenträgern verhandelt habe.“

Zum Thema: Gerade einmal ein Prozent aller Absolvent*innen eines Jahrgangs erhält ihn: den Hochschulpreis. Jedes Jahr kürt das Präsidium gemeinsam mit der Gesellschaft der Freunde der FH Münster e. V. (gdf) auf Vorschlag der Fachbereiche die besten Abschlussarbeiten. Zu den Preisträger*innen des Hochschulpreises 2021 für die besten Arbeiten aus dem Jahr 2020 gehört Elena Schroer vom Fachbereich Gesundheit, die die „Zeitvergütung als eine alternative Abrechnungsmöglichkeit zur Vergütung über Leistungskomplexe in der ambulanten Pflege für den SGB XI-Bereich in Nordrhein-Westfalen“ untersucht hat. Erstgutachterin der Masterarbeit war Prof. Dr. Sylvia Schulze zur Heide von der FH Münster, Zweitgutachter Diplom-Kaufmann Eric Lanzrath, Geschäftsführer der Gesellschaft für Pflegesatzverhandlungen caritativer Einrichtungen und Dienste in der Diözese Münster. Eine vollständige Übersicht aller gewürdigten Absolvent*innen ist im Jahresbericht 2020 ab Seite 54 abrufbar: fhms.eu/jahresbericht-20.


Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Weitere Informationen und die Möglichkeit zum Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Seite drucken