ENGLISH
Prof. Dr. El-Mafaalani von der FH Münster.

"Jeder, der ihn verstanden hat, fing an zu weinen."

Ohne seine Eltern war der Zwölfjährige aus Syrien aufgebrochen. Die Fahrt über das Mittelmeer würde einen Tag dauern, hatten sie ihm gesagt. Als der dritte Tag auf See begann, fingen die Erwachsenen um ihn herum an zu beten. Keiner kümmerte sich mehr um ihn. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Alle dachten: Jetzt ist es vorbei. Es ist nur eine von vielen Geschichten, die Prof. Aladin El-Mafaalani am ersten Wochenende im September 2015 in Dortmund hörte.

"Jeder, der ihn verstanden hat, fing an zu weinen."

Ohne seine Eltern war der Zwölfjährige aus Syrien aufgebrochen. Die Fahrt über das Mittelmeer würde einen Tag dauern, hatten sie ihm gesagt. Als der dritte Tag auf See begann, fingen die Erwachsenen um ihn herum an zu beten. Keiner kümmerte sich mehr um ihn. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Alle dachten: Jetzt ist es vorbei. Es ist nur eine von vielen Geschichten, die Prof. Aladin El-Mafaalani am ersten Wochenende im September 2015 in Dortmund hörte.

„Ich habe einen Anruf von Freunden bekommen“, erinnert sich der Hochschullehrer vom Fachbereich Sozialwesen. „Sie brauchten Dolmetscher – Leute, die Arabisch sprechen. Ich habe alle angerufen, die dafür in Frage kommen und bin dann selbst zum Bahnhof gefahren.“ Dort erlebte er hautnah, was über lange Zeit die Berichterstattung der Medien dominieren sollte: Die Ankunft tausender Flüchtlinge und eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft.

»Die einen sehen sie als bemitleidenswerte Opfer, denen geholfen werden muss. Der andere Blick ist der auf eine fremde und bedrohliche Masse.«Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani

Für die Flüchtlinge sei das Ganze ein wenig seltsam gewesen, sagt El-Mafaalani. „Sie fanden es nicht nur komisch, dass ihnen die Leute applaudierten – dass ihnen während ihrer Flucht überhaupt jemand hilft, ohne dafür Geld zu nehmen, das haben viele zum ersten Mal erlebt, als sie in Deutschland ankamen.“

Doch zeitgleich formierte sich vielerorts der Protest gegen die Fremden. Eine Diskrepanz, die El-Mafaalani genau beobachtete. „Es gibt zwei Arten, mit denen in Deutschland auf Flüchtlinge geschaut wird“, sagt der Soziologe, dessen Forschungsschwerpunkt unter anderem Migration und Integration ist. „Die einen sehen sie als bemitleidenswerte Opfer, denen geholfen werden muss. Der andere Blick ist der auf eine fremde und bedrohliche Masse.“ Dementsprechend gestalte sich die Situation: „Wir bewegten uns zwischen klatschen und Heime anzünden.“ 

Eine Skatehalle nahe des Dortmunder Hauptbahnhofes wurde zur Sammelstelle für Kleider-, Schuh- und andere Sachspenden für die Flüchtlinge. (Foto: El-Mafaalani)
Eine Skatehalle nahe des Dortmunder Hauptbahnhofes wurde zur Sammelstelle für Kleider-, Schuh- und andere Sachspenden für die Flüchtlinge. (Foto: El-Mafaalani)
Im Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus wurden die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft verpflegt. (Foto: El-Mafaalani)
Im Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus wurden die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft verpflegt. (Foto: El-Mafaalani)

Die Willkommensaktion in Dortmund war für El-Mafaalanis Forschungen gewinnbringend. „Ich habe mit den Flüchtlingen gesprochen und mir ihre Geschichten angehört.“ Wie die vom Jungen aus Syrien, der auf dem Mittelmeer Todesängste ausstehen musste. „Als er mir davon erzählt hat, hat man gemerkt, wer von den umstehenden Arabisch sprach und wer nicht“, sagt El-Mafaalani. „Jeder, der ihn verstanden hat, fing an zu weinen.“

Von Moritz Schäfer


Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Weitere Informationen und die Möglichkeit zum Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Seite drucken