Prof. Dr. Joachim Gardemann
Prof. Dr. Joachim Gardemann hat selbst in den vergangenen 25 Jahren humanitäre Hilfe geleistet. Das Foto zeigt ihn bei seinem Einsatz in Haiti im Jahr 2010. (Foto: DRK)

Münster, 13. Oktober 2020 | Der Friedensnobelpreis 2020 geht an das Welternährungsprogramm (World Food Programme, WFP) der Vereinten Nationen. Anlässlich des bevorstehenden UN-Welternährungstags am 16. Oktober hat die Bundeskanzlerin in einer Videobotschaft, in der sie dem WFP gratuliert, die Weltgemeinschaft dazu aufgerufen, die Anstrengungen im Kampf gegen den Hunger zu verstärken. 2019 betrugen Deutschlands Zuwendungen an das Welternährungsprogramm 886,5 Millionen US-Dollar.

Das WFP sei ein würdiger Preisträger, meint auch Prof. Dr. Joachim Gardemann von der FH Münster. Der Leiter des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe und Arzt hat selbst in den letzten 25 Jahren für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) wiederholt humanitäre Nothilfe in Krisengebieten weltweit geleistet. Hier äußert sich Gardemann selbst zum angekündigten Friedensnobelpreisträger:

 

"Als klassische Nothilfeorganisation der Vereinten Nationen leistet das WFP nach wie vor unmittelbare Nahrungsmittelnothilfe bei Krisen und Katastrophen. Aber auch nachhaltige Hilfen werden geleistet wie Stärkung lokaler Strukturen der Lebensmittelproduktion, Bekämpfung von Ungleichheiten und zunehmend auch Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels und der Covid-19-Pandemie.

Ein Blick auf die weltweite geographische Verteilung der Mangelernährung zeigt erwartungsgemäß mit 230 Millionen Betroffenen einen Schwerpunkt im Afrika südlich der Sahara, offenbart aber auch, dass die weltweit am meisten von Mangelernährung betroffene Region mit 304 Millionen das südliche Asien ist. Fast die Hälfte aller Todesfälle bei Kleinkindern im südlichen Asien geht auf das Konto einer Mangelernährung.

Etwa 3 Milliarden Menschen weltweit können sich keine ausgewogene Ernährung leisten, 690 Millionen weltweit sind mangelernährt: Im Zuge der Covid-19-Pandemie erwartet UNICEF zusätzlich noch weitere 132 Millionen Unterernährte.

47 Millionen Kinder unter fünf Jahren waren 2019 schwerstmangelernährt, wobei eine akute Mangelernährung zum Gewichtsstillstand oder -verlust bis hin zum Hungertod führt (wasting), eine chronische Unterversorgung aber zu verringertem Größenwachstum, Krankheitsanfälligkeit, Leistungsminderung und verringerter Lebenserwartung (stunting). Hiervon waren 2019 weltweit 144 Millionen Kinder betroffen. Besonders während der ersten 1000 Lebenstage wirkt sich eine unzureichende Ernährung fatal auf das gesamte spätere Leben aus. Dabei hat ein jeder Mensch nicht nur das Recht auf eine zuträgliche Ernährung (food security), sondern auch auf Nahrungsmittel, die kulturellen und religiösen Wertvorstellungen entsprechen (food sovereignty).

Eigentlich wäre unser Planet Erde derzeit noch in der Lage, die gesamte Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren, aber da Lebensmittel weltweit gewinnorientiert gehandelte Waren darstellen, als Druckmittel in bewaffneten Konflikten wie zum Beispiel im Jemen oder Sudan missbraucht werden und da beispielsweise durch Konflikte oder aktuell durch die COVID-19-Pandemie Produktion und Lieferketten zusammenbrechen, kommt es immer wieder zu akuten oder auch andauernden Nahrungsmittelengpässen.

Selbst habe ich in den vergangenen Jahren in vielen Ländern für uns hierzulande völlig unvorstellbare Hungersituationen erlebt, so etwa in Flüchtlingslagern Tansania, im Sudan und in Haiti. Überall dort war natürlich auch das Welternährungsprogramm in der Nothilfe vor Ort aktiv. Ohne das WFP würde es noch weitaus mehr Hungertote geben. In ihrer Video-Botschaft dankt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Programms, die sich 'häufig unter schwierigsten Umständen und unter großen persönlichen Entbehrungen' engagieren.

In Haiti wurde ich 2010 beispielsweise Zeuge, wie von der armen Bevölkerung Kekse aus hellem Lehm gebacken wurden, damit man wenigstens etwas im Magen hat. Solche Haitian mud cookies habe ich danach häufiger für meine Seminare zum Hungerstoffwechsel aus hiesiger Heilerde gebacken und den Studierenden zur 'Verkostung' mitgebracht. Mit einem Mund voller Lehm und Sand kann man die Verzweiflung der Hungernden vielleicht besser nachvollziehen."

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