ENGLISH
Foto von Daniel Reichenbacher
(Foto: Felix von Lamezan)

"Meinem Skateboard habe ich viel zu verdanken - Ehrlichkeit und Aufgeschlossenheit", sagt Daniel, der am anderen Ende der Welt in seinem Büro in Shanghai sitzt. Seine Abschlussurkunden von der FH Münster sowie der Pfeiffer University hängen an der Wand. Sein Arbeitsplatz ist nicht weit entfernt von den Wolkenkratzern der Skyline von Shanghai. Seine Stimme klingt so, als würde er aus Dülmen, seiner Heimat, von nebenan anrufen. Seine Geschichte ist stark mit dem Münsterland verknüpft: "Ich bin Skateboarder und habe mich schon als ich noch in Dülmen wohnte, immer mit Freunden in Münster verabredet." Mit seinem Brett unter dem Arm kommt er mit vielen Menschen ins Gespräch. Diese Offenheit und das Interesse an anderen kommt ihm bis heute zugute - auch im Job. Jedem fällt sofort seine offene und freundliche Art auf. "Das habe ich auf dem Brett gelernt."

Von Münster in die weite Welt

2009 steht für ihn fest, dass er BWL an der FH Münster studieren möchte: "Mit Praxisnähe in meiner Lieblingsstadt studieren - besser ging es nicht." Vor allem Prof. Dr. Olaf Arlinghaus mit seinem Slogan "BWL ist Leidenschaft", die Statistikvorlesungen von Prof. Dr. Reiner Kurzhals und später Prof. Dr. Marcus Laumann, "der viel frischen Wind mitgebracht hat", sind ihm dabei in positiver Erinnerung geblieben. Daniel skateboardet auch während des Studiums weiterhin fast täglich und arbeitet nebenbei bei dem Skateboard-Guru Titus Dittmann aus Münster langjährig im Verkauf und später im Marketing. "Bis heute zähle ich seinen Sohn Julius zu meinem Freundeskreis", erzählt der gebürtige Dülmener. Als ein Auslandssemester ansteht, entscheidet sich der BWL-Student für die San Diego State University, obwohl sie keine Partnerhochschule der FH Münster ist. Aber, es ist ihm wichtig und er kämpft für seine Entscheidung und darf schließlich gehen - an seine Wunschuniversität und in eine Gegend, die als Skateboarderhochburg bekannt ist. "Das Gesamtpaket passte, die Uni war super, ich war im Süden von Kalifornien und die Strandpromenade in Reichweite." Als er wieder in Münster ist, publiziert er in Zusammenarbeit mit der Firma Titus sogar ein Buch mit Skateboard-Tipps. "Es lag nahe, mein Hobby auch zum Beruf zu machen, aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden." Denn eine weitere Leidenschaft entwickelte sich während des Aufenthalts in den USA: ein starkes Interesse an anderen Ländern und Kulturen.

Marketing und Management als Steckenpferde

Im Bachelorstudium merkt Daniel, dass Marketing und Management seine Steckenpferde sind. "Darin wollte ich Experte werden." Nach dem erfolgreichen Abschluss im Jahr 2012 bewirbt er sich für das Masterstudium an der Uni und der FH in Münster. Für beide erhält er eine Zusage: "Da musste ich nicht lange nachdenken, die Uni war nur mein Backup." Er bleibt der FH Münster treu und studierte im Master International Management. "Unser Studiengangsleiter, Prof. Dr. Bert Kiel, hatte hohe Anforderungen, das war anstrengend, aber auch sehr lehrreich." Als im Master der Auslandsaufenthalt ansteht, welcher Teil des Curriculums ist, steht für den Studenten fest: Es geht wieder in die USA. Dieses Mal studiert er an der privaten Pfeiffer University in Charlotte, North Carolina, und geht nicht nur für ein Semester rüber, sondern für ein ganzes MBA-Programm. Er fasst schnell Fuß, arbeitet für seinen Professor Dr. Uli Fröhlich, schließt Freundschaften und vernetzt sich. "Das Studium war sehr spannend für mich. Der MBA war im Abendstudium organisiert und ich habe sehr interessante Kommilitonen kennengelernt, die alle schon Managementverantwortung hatten, davon habe ich sehr profitiert."

Berufseinstieg im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Wie der Zufall es will, kommt er über sein Netzwerk mit dem Deutschen Thomas Heck, seinem späteren Chef bei tesa, in Kontakt. Er bekommt eine Arbeitserlaubnis für die USA und startet 2013 bei dem deutschen Unternehmen tesa als Marketing Analyst in Charlotte. "Tagsüber war ich schon im Job aktiv und abends war ich weiter Student. Praktischerweise war das Firmengebäude von tesa nicht weit von der Uni entfernt, da hatte ich es abends nicht weit." 2014 schreibt er dann bei Prof. Dr. Clayton Griffing und Prof. Dr. Reiner Kurzhals erfolgreich seine Masterarbeit. Daniel plant aber fest, weiterhin in den USA zu bleiben und steigt bei tesa zum Associate Market Manager für industrielle Produkte und Märkte auf. "Ich habe mal zu Thomas Heck gesagt: 'Ich bin sehr dankbar, dass ihr mir diese Chance gegeben habt' und er hat nur gesagt: 'Das hast du dir selbst erarbeitet!'"

Wenn man als Deutscher für ein deutsches Unternehmen in den USA arbeite, liege es nahe, irgendwann wieder in die Heimat zurückzugehen, findet Daniel. Für ihn war es im Jahr 2015 so weit: Er wechselte als internationaler Produktmanager für industrielle Märkte in die Zentrale nach Hamburg. "Der Markt für Klebebänder bürgt enormes Potenzial - beispielsweise werden Smartphones immer dünner, da kann man nicht mehr schrauben, da muss geklebt werden." Neben dem Power-Strip, den in Deutschland wohl fast jeder kennt, produziert das Unternehmen auch viele funktionale und wertschöpfende Klebebänder, die beispielsweise Elektrizität leiten oder Wärme verteilen können. Daniel berichtet leidenschaftlich von den neusten Entwicklungen und Trends und man merkt, er kennt seine Branche und er liebt, was er tut.

Das Abenteuer China
Dann kommt der nächste Wendepunkt. Die Sehnsucht nach fernen Ländern und neuen Herausforderungen packen ihn wieder. "Noch mal in die USA zu gehen, wäre keine Herausforderung gewesen." Ohne viel Asien-Reiseerfahrung klemmt sich Daniel 2018 wieder sein Brett unter den Arm und geht nach Shanghai. "Ich habe mich bereits im Vorfeld vorbereitet, habe mich mit der Kultur beschäftigt und angefangen die Sprache zu lernen", sagt 丹尼尔 - so heißt sein Vorname auf Chinesisch. "Ich finde, man kann die Chinesen und deren Denkweise nur richtig verstehen, wenn man sich mit ihrer Sprache beschäftigt." Mittlerweile kann er sich sehr gut auf Chinesisch ausdrücken, was neben dem regelmäßigen Unterricht und seiner Sprach-App, bestimmt auch an seiner chinesischen Partnerin liegt. "Wir sprechen zu Hause 80 Prozent Englisch, 19 Prozent Chinesisch und 1 Prozent Deutsch - meine Freundin will auch meine Muttersprache lernen." In China wird viel und hart gearbeitet. Der Wecker klingelt bei Daniel um 5:45 Uhr, manchmal geht er morgens noch im Park laufen, um 7 Uhr macht er sich auf den Weg zur Arbeit. Um 19 Uhr öffnet er zu Hause wieder die Haustür: "Ich wohne im schönsten Viertel Shanghais, es hat einen europäischen Touch, hier gibt es viele Bäume und Cafés." Am Wochenende entspanne er sich dort am liebsten bei einem Kaffee und Bagel, berichtet der Manager. Sein Brett kommt immer noch zum Einsatz, aber nicht mehr so häufig wie in Münster. Da vermisst er schon manchmal den Hafen oder den Vorplatz der Stadtwerke, wo die Bretter nur so um die Wette rollten.

Lockdown im fernen Osten

"Ich wollte immer etwas Internationales machen, aber dass ich in dieser Position in der Chemiebranche landen würde, habe ich mir im Studium nicht träumen lassen." Jetzt habe er die Verantwortung für ein Marketingteam, berichtet der Manager, der mit 31 Jahren bereits Marketingleiter für den Bereich General Industrial Markets in Region Greater China ist. Auch den Lockdown hat er in Shanghai erlebt und ist nicht in die Heimat geflogen. "Während einer Langzeitensendung verlegt man seinen Wohnort. Mein Zuhause ist jetzt hier." Er hat im Homeoffice gearbeitet und die Wohnung acht Wochen lang kaum verlassen. "In der Zeit habe ich China und dessen Staatsform noch ein wenig näher kennengelernt, es gab eine Ansage der Regierung und Shanghai war wie leergefegt. Und das in einer Stadt mit mehr als 25 Millionen Einwohnern. Das war eine heftige Zeit." Er habe die Erfahrung aber "gut verpackt".

Business as usual?

Aber auch im normalen Alltag ist in der Geschäftswelt Chinas vieles anders als in Deutschland: "Der Chinese an sich ist sehr höflich. Beziehungspflege, Respekt, Hierarchien und auch Gesten und Rituale sind sehr wichtig." Beim Anstoßen sei es beispielsweise wichtig, mit dem eigenen Glas immer unterhalb der Glaskante einer Respektsperson anzustoßen - "eine kleine kulturelle Geste mit großer Wichtigkeit." Spannend findet Daniel auch, dass der Markt extrem dynamisch ist: "Produktentwicklungen oder das Kopieren von Produkten geht hier rasant schnell. Davon bin ich beeindruckt. Wer mithalten will, muss investieren. Das macht tesa und unser Werk in Suzhou nimmt zeitnah neue Maschinen in Betrieb." Die Regierung habe auch kürzlich entschieden, dass Verpackungsklebebänder bis 2025 biologisch abbaubar sein müssen. In puncto Nachhaltigkeit tue sich also auch gerade viel, berichtet der Manager.

Was noch bemerkenswert ist: Seit Daniel in China ist, hat er kein Portmonee mehr dabei. "Alles wird mit der App Alipay oder WeChat bezahlt, sogar Bettler haben teilweise eine Kette mit einem QR-Code um." Der Chinese arbeite sehr hart, sei rund um die Uhr zu erreichen, und denke sehr kollektiv, berichtet er weiter. "Ich habe die Kultur in Amerika verinnerlicht, ich komme in China sehr gut klar, aber am Ende des Tages bleibe ich Deutscher." Als solcher vermisst er vor Ort manchmal einen gut sortierten Supermarkt, die Veltins-Arena in Gelsenkirchen und vor allem seine Familie und Freunde, verrät er. Vor Corona bekam er auch regelmäßig Besuch aus Deutschland.

"Beziehungen zu Menschen sind das Fundament für alles"

Studierenden rät er vor allem, sich von anderen abzugrenzen, sich mit ihrem Profil von den vielen BWLern zu differenzieren und ihre sozialen und interkulturellen Fähigkeiten auszubauen - "ohne geht es nicht!". Er weiß, man braucht in seinem Job viel Feingefühl: "Beziehungen zu Menschen sind das Fundament für alles - auch bei der Kundenansprache muss man die richtige Tonalität finden, denn der Kunde sollte stets im Mittelpunkt stehen." Wie lange er noch vor Ort sein wird, weiß er noch nicht. Genug zu tun hat er - im Wachstumsmarkt China. Es bleibt also spannend bei Daniel. Aber eins ist sicher: Wenn er mal den Kopf frei kriegen muss, schnappt er sich sein Brett mit den vier Rollen und fährt durch das Xuhui-Viertel, wo er jetzt wohnt - wie damals in Münster.

Daniel Reichenbacher (2.v.r.) im Gespräch mit einem industriellen Handelspartner. (Foto: tesa tape (Shanghai) Co., Ltd.)
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Weitere Informationen und die Möglichkeit zum Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Seite drucken