Alain Thiemann im Interview. (Foto: FH Münster/Milana Mohr)

Alain Thiemann ist Geschäftsführer von Velo de Ville. Der Fahrradhersteller aus Altenberge produziert und vertreibt europaweit kundenindividuelle Fahrräder und E-Bikes. Wem die Marke einmal ins Auge gefallen ist, der kann die Räder auf Münster Straßen nicht mehr übersehen. Für Alain ist die Firma mehr als nur sein Arbeitsplatz - für ihn ist sie Familie.

Sein Vater, Albert Thiemann, gründete 1966 das Unternehmen. Schon seit Alain klein ist, verbringt er viel Zeit in der Firma, wächst umgeben von Fahrrädern auf, kennt die Mitarbeitenden mit Namen. In seiner Freizeit und in den Ferien jobbt er in verschiedenen Abteilungen des Familienbetriebes. Als er 14 Jahre alt ist, verstirbt sein Vater. "Das war lebensverändernd", sagt Alain rückblickend. Ab dem Moment sei ihm klar geworden, dass er seine Zukunft bei Velo de Ville sehe. "Ich hatte ein Ziel und habe jede Sekunde dafür genutzt, dass das irgendwann klappt."

Zielstrebig geht Alain seinen Weg. Er studiert Business Administration an der International School of Management in Dortmund, geht danach für ein sechsmonatiges Praktikum in eine Unternehmensberatung nach Kapstadt. Im Anschluss bewirbt er sich für den Master Accounting & Finance (heute: Master Accounting, Controlling & Finance) an der MSB. "Im Bachelor hatte ich zwei Schwerpunkte: Marketing und Finance. Für beide hatte ich eine hohe Leidenschaft, aber eine Sache konnte ich nicht: Buchhaltung. Das hat mich extrem geärgert. Ich wollte jeden Bereich eines Unternehmens verstehen. Für mich war klar: Daran musst du arbeiten." Dafür sei der Studiengang an der MSB genau der Richtige gewesen.

Unternehmen verstehen lernen

Schritt für Schritt werden die Räder in Altenberge montiert. (Foto: FH Münster/Milana Mohr)

Für ein Studium an einer Fachhochschule entschied er sich bewusst: "Ich habe schon immer gerne Fragen gestellt, deswegen mag ich die überschaubaren Kursgrößen. Anonyme Universitäten haben mir nicht gefallen, das war nicht mein Weg", erklärt er. Aus dem Studium besonders in Erinnerung geblieben, sei ihm das Modul "Finance zwei" bei Prof. Dr. Christian Tallau sowie die gute und enge Zusammenarbeit mit seinen Thesisbetreuer*innen Prof. Dr. Juliane Wolf und Prof. Dr. Rainer Kurzhals. Warum die Inhalte für ihn auch heute noch relevant sind? "Wir können die Zukunft eines Unternehmens nicht erfolgreich gestalten, wenn wir die Vergangenheit nicht verstehen. Wir müssen eine Grundlage haben, um zu wissen, woran wir arbeiten müssen, damit eine Entwicklung stattfinden kann."

Nach dem Studium steigt Alain allerdings nicht sofort in das Familienunternehmen ein, sondern arbeitet zunächst bei der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Für Alain ist es eine lehrreiche, aber auch sehr arbeitsintensive Zeit. Auch währenddessen ist er weiterhin im Familienbetrieb involviert. Der Plan sei gewesen, mit 30 bei Velo de Ville einzusteigen: "Der Start kam dann zwei Jahre früher, da wir viele neue Herausforderungen und Veränderungen zu bewältigen hatten. Der Einstieg im Unternehmen und die Unterstützung der Mitarbeitenden war einzigartig und eine extrem motivierende Erfahrung", erinnert sich der gebürtige Altenberger.

Ein Familienunternehmen im doppelten Sinne

Für Alain ist es ein Neuanfang mit vielen bekannten Gesichtern. Die Leitung des Unternehmens übernimmt er gemeinsam mit seinem Halbbruder Volker Thiemann, der im Jahre 1992 ebenfalls mit 28 Jahren in die Geschäftsführung einstieg. "Dass wir ein Familienunternehmen sind, bedeutet in diesem Kontext übrigens nicht nur 'die Thiemanns', sondern bezieht sich vor allem auf die Familien der Mitarbeitenden, die teilweise schon seit mehreren Generationen bei uns arbeiten", betont der 31-Jährige. "Die meisten unserer Kolleg*innen kennen mich, seitdem ich klein bin."

Inzwischen beschäftigt das Unternehmen rund 300 Mitarbeitende. "Wir haben uns stark weiterentwickelt, auch in unserer Organisation. Mittlerweile haben wir zum Beispiel einen Data Science Bereich und eine vollautomatisierte Pulverbeschichtungsanlage. Damit sind wir auch innerhalb der Branche relativ einzigartig", so der Alumnus. Im Fokus stehen bei Velo de Ville allerdings die Menschen dahinter. Als seine Hauptaufgabe sieht Alain vor allem die individuelle Förderung der Mitarbeitenden. "Um bei uns seine Erfüllung zu finden, ist der vorherige Werdegang nicht so entscheidend, sondern viel mehr die Ziele, die man mit uns erreichen will. Die Fahrradbranche ist keine Raketenwissenschaft. Man kann sich sehr schnell weiterentwickeln, je nachdem, wie viel Motivation man mitbringt. Dafür sind wir sind ein sehr dynamischer, vielfältiger und sozial geprägter Familienbetrieb", erklärt Alain. Elf Prozent der Mitarbeitenden haben eine Beeinträchtigung und werden durch das Unternehmen bestmöglich unterstützt und gefördert. "Wir haben zum Beispiel jüngst viel in den Lärmschutz innerhalb der Produktion investiert, um beispielsweise hörgeschädigten Mitarbeitenden das Arbeiten so angenehm wie möglich zu machen", berichtet Alain.

"Mit der Erfüllung bei der Arbeit kommt häufig auch der Erfolg von ganz allein"

Unterwegs auf dem Donau-Radweg: Alain mit seinem Velo de Ville in der ungarischen Stadt Esztergom. (Foto: privat)

Freie Zeit verbringt Alain gerne mit seinen Freunden oder auf Reisen - gerne auch mit dem Fahrrad. Seine Lieblingsradroute? "Vor vier Jahren habe ich zusammen mit einem guten Freund den Donau-Radweg gemacht. Der ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Letztes Jahr sind wir dann mit dem Freundeskreis den Mosel-Radweg entlanggefahren." Das sei schon sehr besonders, man nehme die Umgebung noch mal ganz anders wahr, wenn man mit dem Rad unterwegs ist, findet der Absolvent.

Zum Abschalten komme er nur selten. "Ich glaube aber nicht, dass das schlecht ist, denn es fühlt sich für mich nicht nach Arbeit an. Bei Velo de Ville sind viele Menschen mit großer Leidenschaft und Überzeugung aktiv. So auch ich." Darin versteckt ist auch sein abschließender Rat an Studierende: "Macht das, woran ihr Spaß habt. Mit der Erfüllung bei der Arbeit kommt häufig auch der Erfolg von ganz alleine. Probiert euch aus und schaut, wofür ihr am meisten brennt."

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