Es sieht genauso aus wie im Film:

Außentreppen aus Eisen, Türme aus Glas, Steinschluchten und dampfende Gullys. Zwölf Studierende stehen staunend in der Siebten, starren. Kopfschütteln - nicht zu begreifen:

Tatütata , winiwinwin... kawummm...

All diese Menschen aus Fleisch und Blut? Ein Rätsel: Sie sind ja ECHT, leben - und waren doch gestern noch nichts weiter als eine Illusion, bewegliche Bilder aus Pixeln und Zelluloid... Der erste Morgen in New York ist wie ein Erwachen im Film: Niemand würde sich wundern, würde die Wirklichkeit die Leinwand einholen, würden sich die Autos plötzlich Verfolgungsjagden liefern oder würden Außerirdische, Riesengorillas oder Urweltmonster sich unvermittelt Ihren Weg durch die Häuserschluchten bahnen...

Und das soll echt sein?

New York?

New York!

Nichts weniger als das, überwältigend, inspirierend - und wir mitten drin:

New York - die Stadt, die wohl jeder Mensch einmal besuchen möchte - gleichwohl jeder sie bereits zu kennen meint, weil sie Kulisse unzähliger Romane, Filme oder Songs ist (wenn nicht gar der eigentliche Protagonist). Manche leben weiter in ihrer Illusion dieser titanischsten aller Metropolen, andere fliegen hin, begeben sich auf Spurensuche, machen sich ein eigenes-, ein authentisches Bild der Stadt. So auch der Editorial-Kurs des Wintersemesters 2012, in persona zwölf reiselustiger Studierender. Begleitet wurden die jungen Illustratoren dabei von Rüdiger Quass von Deyen, der schon gar nicht mehr weiß, wie oft er in New York war - und in dieser Position natürlich dazu prädestiniert ist, die Gestaltungsnachwüchsler ein wenig an die Hand zu nehmen, damit sie in den endlosen Straßenschluchten der five Boroughs nicht verloren gehen. Außerdem mit von der Partie: Felix Scheinberger, der in Münster die Professur für Zeichnen und Illustration vertritt, und den Studenten als international erfolgreicher Illustrator und als Souverän in seinem Gebiet zu lehren vermag, wie die unzähligen Einflüsse der Stadt gefiltert werden müssen, wie sie ihren Weg durch den Kopf in die Hände und schließlich aufs Papier finden können. Das Team stand also...

Doch so eine Reise erfordert einige Planung, besonders, wenn man nicht nur zwecks Sightseeing den weiten Weg auf sich nimmt: Wer in New York den Überblick behalten will, wer gar dort hinfliegt, um etwas zu lernen, der muss sich vorbereiten. Und die Gruppe unternahm ihre Reise ja auch mit einem ganz speziellen Ziel: die Erlebnisse, die Erkenntnisse, die Inspirationen - all das soll Einzug finden in eine Zeitschrift, the last newspaper, die in diesen Tagen, nach sicherer Heimkehr, hier an der FH entsteht. Also traf man sich im Vorfeld der Reise, organisierte, frönte der Vorfreude - und vor allem: bildete sich! Referate wurden gehalten, um eine sowohl kulturelle wie auch historische Perspektive einzunehmen: Das Leben im Big Apple wurde reflektiert, immer auch im Blick auf die politische Lage und die spezifische Problemstellung einer solch bunten und bevölkerungsreichen Megacity. Auch 9/11 und die zirkulär wiederkehrenden Wirtschaftskrisen wurden thematisiert. Dabei folgten die Studierenden neben den großen und wirkungsmächtigen Themen auch einem gewissen Pragmatismus: Wie finde ich mich in New York als Debütant überhaupt einigermaßen zurecht? Was für ein Trinkgeld sollte ich dem Taxifahrer gönnen? Welche Benimm-Regeln gelten im Museum of Modern Art?

Um nicht in Orientierungslosigkeit zu verfallen, wurde auch schon im Vorfeld eine Route abgesteckt, wurden die Hotspots der Designwelt auf der Karte markiert, deren Besuch für einen wissbegierigen Gestalter in der Lehrzeit unumgänglich ist: Neben dem genannten Museum (in dem man, so die Benimm-Regel, nicht Fotografieren, wohl aber Zeichnen darf) fanden so auch die Society Of Illustrators, die Parsons - auch bekannt als New School of Design, oder gar echte Menschen - wie der geschichtsträchtige Gestalter Milton Glaser, der einer Privataudienz zustimmte - ihren Weg auf eine Liste anstehender Entdeckungen.

Parallel zur Planung und Vorbereitung entstand zudem ein Blog (http://touristenimregen.tumblr.com/), der die Arbeit und die Erfahrungen der 14-köpfigen Gruppe illustriert. Dort versammeln sich auch viele Fotografien, Filmausschnitte und Zeichnungen, deren Betrachtung in den Wochen vor dem Abflug die Herzen der Wissenstouristen höher schlagen ließ, außerdem berichteten die New New Yorker - Smartphone sei Dank - während der Reise auch aus dem direkten Geschehen heraus. Die Folge: Hipstamatic Prints von so ziemlich jedem Diner, das besucht wurde!

Bevor die Fotos gemacht werden konnten, immer mit einer impulsiven (Fast Food-)Restaurant-Kritik verbunden, mussten die glorreichen 14 aber erst einmal ankommen: Mit gepackten Koffern also, mit noch leeren Skizzenbüchern und ebenso unberührten Speicherkarten, stürzten sich die "Touristen im Regen" - so der Titel des Blogs - ins Abenteuer. Im Regen deshalb, weil die für die Reise gewählte Jahreszeit eben solchen zu erwarten ließ. Am 13. November ging es los. Schon vor dem Abflug wurden die ersten Stifte gezückt, im Terminal des Düsseldorfer Flughafens. Was dabei alle so entstandenen Portraits eint, sind die erwartungsvollen Augen. Doch dann mussten die Sketch-Books sich erst einmal wieder schließen! Next Stop: John F. Kennedy Airport!

Malena Haring, Timo Becker, Marion Scherpf, Michael Szyska, Laura Heiming, Florian Kock, Felix Scheinberger, Natalie Biturski, Catharina Herding, Jennifer Bertaz, Benedikt Krusel, Margarete Laue, Julian Stumpe, Rüdiger Quass von Deyen (v.l.n.r.)
Der Blick aus dem German Building
Angekommen! Unterkunft in New York fand die Gruppe im Zentrum Manhattens, im Hotel Pennsylvania, direkt zwischen Empire State Building, Times Square und Broadway. Von hier fanden die sportlich gekleideten Entdecker in den folgenden Tagen ihre Wege durch New York. Einer der ersten Besuche bescherte dann direkt wieder deutschen Boden unter den Füßen, doch von Heimweh keine Spur: Man traf sich im German Building am United Nations Plaza, wo in der Deutschen Botschaft Fragen zum Studium in den Staaten beantwortet wurden. Kim Sims, Direktorin des internationalen Büros, gelang es, mit Fachkenntniss und Charme den Wissensdurst der Studierenden zu stillen. Ihre detaillierten Einblicke in das Innenleben amerikanischer Firmen, in die Hochschul- und Bewerbungsstrukturen, stellten einen mehr als guten Ausgleich für das folgende Essen im 23. Stock dar, das leider lediglich in Bezug auf den Ausblick aus dem Speisesaal in guter Erinnerung geblieben ist.

Am zweiten Tag stand dann der Besuch bei der seit 1901 bestehenden Society of Illustrators an. Eric Fowler, der Kurator der Society, ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich durch die Ausstellung zu führen. Nicht ohne Stolz führte er uns an Originalen der amerikanischen Illustrations-Ikonen vorbei (sein trockener Originalton: "Der Norman Rockwell über der Bar hat heute einen Marktwert von 7.000.000 $"), und nahm sich die Zeit, uns die Schätze der Society persönlich zu erklären. Auch der Sekretär der Society, Stefano Imbert, blieb während unseres gesamten Aufenthaltes zugegen und stand mit Engelsgeduld allen Fragen der Studierenden zur Verfügung. Insgesamt also eine mehr als spannende Führung, inklusive - Überraschung! - eines gemeinsamen Essens im exklusiven Mitglieder-Restaurant. Anschließend wurde der Central Park zur Redaktion umfunktioniert, man besprach sich, und der produktive Teil der Reise fing an: Kreativer Input war gefragt! Entsprechend der Themen machten sich die Studierenden auf die Suche, oder sie ließen sich berieseln. So entstand ein großer Pool von Eindrücken, die im weiteren Verlauf der Zeitungsproduktion verarbeitet werden.

Knut Willich, ein alter Bekannter...

Dann trennte sich die Gruppe, ein Teil besuchte die Wall Street, der andere erfuhr am durchaus sehenswerten High Line Park, inmitten eines einstigen Problembezirks, dass es so etwas wie Gentrifizierung auch in New York gibt. Bei diesem Anlass ergab sich ein weiteres Highlight des Tages, insbesondere für die zeichnende Fraktion unter den Studierenden: Die Gelegenheit, mit einem amerikanischen Illustrator zeichnen zu gehen. Timothy Bush, Zeichner aus Brooklyn, hatte sich einen Nachmittag freigenommen, um uns an die High Line zu begleiten. Timothy, seines Zeichens Buchillustrator, Charakterentwickler und einer der New Yorker Zeichen-Profis, versorgte die angereisten Münsteraner freigiebig mit dem nötigen Input: Er berichtete über seine Erfahrung beim Porträtieren von Fremden in der Subway und verriet, wie man in der U-Bahn zeichnet, ohne gesehen zu werden. Aber auch praktische Tipps, etwa welcher Stadtteil die ergiebigsten Motive liefert oder welcher Laden die besten Skizzenbücher vorrätig hat, gab er bereitwillig an die Studierenden weiter.

Ein Besuch bei Knut Willich, einem beurlaubten Fachlehrer des FB Design aus Münster, der seit einem Jahr N.Y. sein Zuhause nennt, rundete den Tag ab, und nach Pizza und Bier freuten sich alle über ihre Hotelbetten.

Der Regen, passend zum Blog-Titel, der den nächsten Tag eröffnete, ging einher mit einem Missverständnis, so entfiel der Besuch beim Esopus-Magazin aufgrund einer falsch vermittelten Adresse (am anderen Ende der Stadt!), und es eröffnete sich weitere Zeit für die individuelle Recherche. So stand auch der Mittwoch unter dem Motto der Inspirationssuche. Und da Inspiration bekannter Weise harte Arbeit ist, stand zum Ausgleich der Mittwochabend unter dem Stichwort "Frozen Magaritas & Hamburger". Juliane Pieper, deutsche Illustratorin mit Wohnsitz in New York, hatte ins "Toast" in Chelsea geladen. Juliane Pieper war ursprünglich mit einen Fullbright-Stipendium nach Amerika gelangt, lebt aber mittlerweile seit Jahren im Big Apple und kennt die Illustrationszene und das Business vor Ort genauestens. Die Gelegenheit war also günstig, Sie vor Ort (und durch besagte Magaritas mutig geworden) mit Fragen zu bombardieren. Wie lebt man in New York? Wie schafft man es, mit Illustration über die Runden zu kommen? Inwieweit ist der Markt mit dem deutschen Markt vergleichbar? Fragen über Fragen... Und es wurde, wie man sich denken kann, ein nicht nur langer, sondern auch informativer wie lustiger Abend.

Der Donnerstag wartete dann mit einem harten Herbsteinbruch auf, von dem sich jedoch niemand aufhalten ließ: Nach der Überquerung des Hudson River lernte die Gruppe in Brooklyn, das mit seinen kaum mehr bezahlbaren Lofts auch einem deutlichen Wandel unterliegt, den legendären Kinderbuch-Illustratoren Brian Floca kennen. Brian Floca, vielfach ausgezeichneter Illustrator der amerikanischen Kinderbuch-Klassiker "Poppy" und "Moon Shot", teilt sich eine Fabriketage mit vier weiteren nicht weniger renommierten Kollegen. Der Empfang ist herzlich und bald drängen sich die Studierenden um die Arbeitstische des Illustrations-Studios. Hier zeigt Brian Originale aus seinen Büchern, erläutert die Vorteile von digitaler wie analoger Arbeitsweise, während zwei Tische weiter seine Kollegin dem gleichzeitig anwesenden amerikanischem Fernsehen ihre neusten Illustrationen für eine Kampagne der New Yorker U-Bahn präsentiert.

Am Tisch des Illustrators John Rocco bekommen wir vom Meister selbst die Zwischenschritte erklärt: "Idee wird Skizze, Skizze wird Entwurf, Entwurf wird Bild" - anschaulicher und praxisnaher geht es kaum. Die Illustratoren geben uns einen großartigen Einblick in ihren Arbeitsalltag, sind dabei herzlich und engagiert - so macht der Austausch nicht nur Spaß, sondern ist auch durchaus produktiv. Danach ziehen die Reisenden auf eigene Faust weiter, überqueren im Regen zu Fuß die Brooklyn-Bridge oder besuchen die Occupy-Bewegung im Finanzdistrikt, immer auf der Suche nach neuen Eindrücken.
Und dann, um 15 Uhr Ortszeit, ein Highlight für alle Beteiligten. Die Design-Legende Milton Glaser, prägend aktiv in allen Disziplinen der Gestaltung, lädt zum Empfang. Der alte Mann besitzt in Design-Fragen einen Erfahrungsschatz, der in diesem Reichtum äußerst selten zu finden ist. So werden die 60 Minuten, die der 82-jährige Rede und Antwort steht, zu einer eindrucksvollen Lehrstunde, durchaus mit Ambivalenzen: Auf seinen einstigen Partner, Seymor Chwast, mit dem er den Push-Pin-Stil entwickelte, war der resolute Rentner, der an Ruhestand so gar nicht denken mag, nicht gerade gut zu sprechen - was auch Rüdiger Quass von Deyen feststellen musste. Doch das Herz, das Glaser in seinem legendären »I <3 NY«-Schriftzug zur Ikone machte, schlägt spätestens seit diesem Nachmittag auch in den Körpern der Münsteraner Design-Studenten für New York! Ein einmaliges Erlebnis, Weisheiten inklusive. Abends ging es dann noch auf das Empire State Building, um die Stadt auch einmal von oben sehen zu können, allerdings nach dem fast schon rituellen Besuch bei Starbucks. Nach einer Lesestunde in einem Comic-Store und einem üppigen Essen beim Mexikaner neigte sich schließlich ein ereignisreicher Tag seinem Ende zu.
Der 82-jährige Milton Glaser hatte einige Weisheiten für die Reisenden parat

Der nächste Tag begann mit einem interessanten Ausflug ins jüdisch-orthodoxe Williamsburgh in Brooklyn, dann wurde die Stadt weiter erkundet, es ging nach Harlem und in andere Stadtteile. Inspiriert von den vielen Eindrücken fingen die Studierenden nun auch langsam mit ihren Geschichten an.

Der Samstagmorgen erwachte ohne jeden Hahnenschrei, dafür mit dem surrenden, brummenden Eigengeräuschen der quirligsten Stadt der Welt - und nicht ohne das Gefühl, wie immer mit zu wenig Zeit zu reisen. Nach einem eiligen aber obligaten Frühstück im Diner um die Ecke, bestehend aus kalorienreichen Bageln, Sandwiches und Eiern (männliche Studierende) oder gesünderem Obstsalat mit Quark (weibliche Studierende), ging es daran, das Beste aus der verbleibenden, schrecklich unbarmherzig verrinnenden Exkursionszeit zu machen. Ein kurzes Abstimmen, dann ging es auch schon los: Ein Teil der Studierenden folgte dem Angebot einer letzten Zeichenexkursion mit Felix Scheinberger in die heiligen Hallen des Metropolitan Museums, während ein weiterer Teil mit Prof. Quass von Deyen die Südspitze Manhattans und die Anleger erkundeten. Es galt, New York noch ein letztes Stück Inspiration abzuringen. Arbeiten am Finetunig der Projekte, ein letzter Spurt in Sachen Ungesehenes und Unerledigtes. Jeanskaufen hatte auf den nächsten Besuch im Big Apple zu warten. Wir waren "Touristen im Regen", keine Schönewettertouristen.

Und dann war diese ereignisreiche und spannende Woche auch schon vorbei. Das Bild, das die Reisenden von New York hatten, wurde ein Stück mit der berauschenden Wirklichkeit synchronisiert, der Erfahrungsschatz ist um ein großes Stück gewachsen. Viele spannende Orte wurden besucht, und mit den vielen Menschen, welche die Gruppe kennenlernte, haben sich auch interessante Lebenswege erschlossen, die ein Designer heute gehen kann.

Doch zuhause wartet Arbeit, eine Zeitung will gemacht werden. So bastelt die Gruppe noch am Flughafen an ihren Ideen, gibt sich rastlos. Rastlos wie New York. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. the last newspaper wird in der ersten Januarwoche in einer Auflage von 500 Exemplaren erscheinen - dort lässt sich dann auch der Transfer der Stadt New York in die Arbeit der jungen Gruppe nachvollziehen, den diese einmalige Stadt vollzogen hat. (Vorbestellungen unter: quassvondeyenfh-muensterde)

Der Blog trug übrigens ganz bewusst den Titel »Touristen im Regen part I«, denn das Projekt soll fortgesetzt und so zur Institution werden. Eine jährliche Fahrt in den New Yorker Regen ist angepeilt: Die notwendige Symbiose aus Editorial und Illustration bedeutet auf dem Design-Markt auch ein Spannungsverhältnis, was Rüdiger Quass von Deyen und Felix Scheinberger ganz bewusst zu vermitteln versuchen. Dabei geht es ihnen darum zu zeigen, dass dieses Spannungsverhältnis als Chance verstanden werden sollte. Wie man das Potenzial einer solch befruchtenden Zusammenarbeit ausschöpfen kann, werden die beiden passionierten New York-Kenner also auch zukünftig ihren Studierenden beibringen. »FB Design <3 New York«, Fortsetzung folgt...

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