Inspiration ist uns immer zugänglich. Pinterest, Behance, das Internet in seiner Ganzheit macht es möglich. Also sollte sich die Gestaltung ziemlich ähneln, oder? Die Globalisierung ist nicht abzustreiten und scheint überall angekommen. Gerade wenn es um die Verbreitung von Neuigkeiten geht, interessiert uns nicht mehr nur, was bei unseren Nachbarn passiert, sondern auch auf der anderen Seite des Globus. Heißt das also auch, dass Gestaltung dafür vereinheitlicht wird? Und dass gleiche Design immer dieselbe Wirkung hervorruft?
Ich habe mich mit diesem Thema auseinandergesetzt und Holger Windfuhr dazu befragt. Er ist gebürtiger Amerikaner mit deutschen Wurzeln, und lebt und arbeitet seit fast zwei Jahrzehnten in Deutschland. Durch seine Arbeitserfahrungen im Verlagswesen in Deutschland und den USA ist er der perfekte Ansprechpartner, um von seinen Eindrücken zu berichten - darüber, wie Kulturen und Mentalitäten Design beeinflussen und wie sich dies auf die Magazingestaltung überträgt. - von Lena Riens

Sie haben eine breit gefächerte Ausbildung. Sie sind nicht nur Diplom-Designer, sondern haben auch Psychologie studiert und einen MBA-Abschluss. Inwieweit hat Ihnen Ihre umfangreiche Ausbildung in Ihrem Berufsalltag geholfen?

Zeitschriften - und gedruckte Medien überhaupt - haben längst die Rolle als Nachrichtenübermittler abgegeben. Was sie leisten können, ist: Zusammenhänge aufzuzeigen, Geschehnisse einzuordnen, überraschende Geschichten zu erzählen, Neugierde zu wecken, entweder textlich oder gestalterisch. Idealerweise in Ergänzung.
Es hilft, wenn man als Gestalter ein tieferes Verständnis der Materie beim Storytelling einbringt. Es hilft auch, die ständigen Veränderungen der Marktmechanismen in der Medienlandschaft zu begreifen.

Sie arbeiten primär im Verlagswesen. Angefangen haben Sie bei Focus und Forbes, eine Ihrer nächsten Stationen war House & Garden für Condé Nast in New York. Dann waren Sie bis zuletzt als Art Director bei der Wirtschaftswoche beschäftigt. Denken Sie, es ist wichtig, nicht nur national zu arbeiten, sondern auch internationale Erfahrungen zu sammeln?

Es schadet nie, andere Denkweisen und Ansätze kennenzulernen. Die grafische Ausbildung ist in den USA anders als in Deutschland, die Sichtweisen sind es zum Teil auch. Aber es ist beruhigend, hautnah zu erleben, dass eigentlich alle mit den gleichen Problemen umgehen müssen.

Die letzten 16 Jahre haben Sie für die Wirtschaftwoche gearbeitet. Ab 2017 sind Sie als Art Director für die F.A.Z. tätig. Was hat Sie als gebürtiger Amerikaner gerade nach Deutschland geführt?

Meine Eltern sind beide Deutsche und wanderten ein Jahr vor meiner Geburt in die USA aus. Ich bin daher in den USA geboren und aufgewachsen, aber auch deutscher Staatsbürger. Nach Deutschland hat mich eine Studienpause geführt. Daraus wurden dann zusammengerechnet ca. neun Jahre München bevor ich nach New York ging.

Deutschland und die USA erscheinen von ihrer Mentalität her erst einmal nicht so weit entfernt, wie es zum Beispiel Deutschland und China zu sein scheinen. Gibt es dennoch Unterschiede bei der Herangehensweise an ein Produkt in Bezug auf den jeweiligen Publikationsmarkt?

Die Herangehensweisen in der Gestaltung sind ähnlich, wobei die Ausprägung sich unterscheidet. Im Allgemeinen ist die amerikanische Zeitschriftengestaltung weniger förmlich, weniger streng als die deutsche. Aber durch Pinterest, Behance, Blogs etc. gucken alle verstärkt darauf, was die anderen machen. Die Einflüsse fließen stark in beide Richtungen.
Es beruht auf einer langen Geschichte von gegenseitiger Beeinflussung zwischen Europa und den USA: Emigranten wie Alexey Brodovitch, der wiederum Willy Fleckhaus beeinflusste, der wiederum viele andere geprägt hat. In den vergangenen Jahren haben Richard Turley (Businessweek) und Matt Willey (New York Times Magazine) in den USA eine europäische Sensibilität aufleben lassen. Der US-Markt ist aber weitaus größer, was sich in der Vielfalt und bei den finanziellen Möglichkeiten niederschlägt. Die New York Times beschäftigt z.B. 1.307 Journalisten und insgesamt 3.588 Mitarbeiter. Damit geht ein größerer finanzieller Spielraum bei neuen Storytelling-Formen wie VR, Film, Audio etc. einher.

Dieses Interview erscheint in "Der Beileger", einer Zeitschrift von Designstudenten. Vor diesem Hintergrund bringt auch die Leserschaft ein Interesse an guter Gestaltung mit. Können Sie bestimmte Faktoren nennen, die man für eine gute Magazingestaltung beachten sollte?

Kenne Deine Zielgruppe: Wer sind die Leser? Was soll die Zeitschrift vermitteln? Welche Rolle kann die Publikation in dem Leben der Zielgruppe spielen?
Nachdem diese Fragen beantwortet sind, versuche mit der Gestaltung - Hand in Hand mit dem Inhalt - das Leben Eurer Leser ein wenig einfacher, verständlicher, witziger, überraschender zu machen. Werde ein "must have" für Eure Zielgruppe - egal ob in gedruckter oder elektronischer Form.

Auf welche Aspekte muss in Deutschland besonders Rücksicht genommen werden, so dass ein Magazin gut beim Leser ankommt?

Kenne Deine Leser - siehe letzte Frage. Wie erreiche ich sie in angemessener Form? Mit welcher Bildsprache, mit welchen Schriften, mit welchem Layout?
Content is King. Das Design sollte den Inhalt ergänzen, unterstützen, verständlicher machen und einprägsam transportieren.

Was ist im Gegensatz dazu besonders typisch für die USA? Was funktioniert dort, was in Deutschland keinen Erfolg hätte?

Einige Zeitschriften in den USA nutzen viele Schriftfamilien und befreien sich oft vom Raster. Die deutsche Lesegewohnheit und der allgemeine Geschmack neigen zu strengeren, eher puristischen Layouts.

Wie sieht es mit dem Aufbau eines Magazins aus? Mögen die Amerikaner zum Beispiel mehr Werbung als die Deutschen?

Im Allgemeinen müssen Zeitschriften nicht unbedingt in streng-gehaltene Ressorts aufgeteilt werden. Die Übergänge zwischen den Themenbereichen sind fließender. Und es ist viel weniger formalistisch und spielerischer in der Formsprache und der Typografie. Wobei es natürlich auch Gegenbeispiele gibt.
Werbung ist in den USA ein ständiger Begleiter. Das Fernsehen ist ein gutes Beispiel. Eine "halbstündige Sendung" ist eigentlich nur um die 15 Minuten lang. Der Rest ist Werbung.
Lange Zeit galt in Amerika bei Printmedien das Prinzip: mit großen Abo-Rabatten möglichst viele Leser gewinnen. Zum Teil kostete eine Ausgabe nur wenige cents. Denn je größer die Leserschaft, desto höher die Werbepreise und der Gewinn. Vogue präsentierte stolz vor einigen Jahren ihre dickste Ausgabe: 916 Seiten. Ein Großteil war Werbung. Eine ganze Zeitlang hat das fast ausschließlich auf Werbung basierte Konzept funktioniert.
In Deutschland gab es ähnliche Ansätze, wobei die Vertriebserlöse hier eine größere Rolle gespielt haben und die großen Abo-Rabatte in Deutschland nicht erlaubt sind. Zum Glück.

Windfuhr ist Jurymitglied beim Red Dot Design Award.

Sie haben in unterschiedlichsten Genres gearbeitet. Für Condé Nast haben Sie für die House & Garden gestaltet, ansonsten sind Sie primär im Bereich der Wirtschaftsmagazine wie Forbes, Money oder Wirtschaftswoche tätig. Natürlich haben diese eine unterschiedliche Zielleserschaft, was unterschiedliches Leseverhalten mit sich bringt. Kann man dennoch auch einen Unterschied in Bezug auf die deutsche und amerikanische Kultur erkennen?

Eher geschmacklich, was die Inhalte angeht. Ein Aspekt bei Money Magazin ist mir besonders aufgefallen. In den USA funktionieren auch "unbekannte" Titelhelden. Bei Money Magazin z.B. war jahrelang das Konzept, Menschen auf dem Titel zu zeigen, die etwas Besonderes erreicht haben - aber nicht bekannt waren. Das funktioniert am Kiosk in Deutschland als Titel nicht. In Amerika möchten die Leser trotzdem wissen: "Wie hat er/sie das geschafft?". In Deutschland sind eher bekanntere Gesichter glaubhafter.
Um eine breite Zielgruppe bei House & Garden abzudecken, war es notwendig, auch die für unseren Geschmack "schwülstigeren" Innendesigns abzudecken (Texas Chic). Das war halt der Geschmack von einem Teil der Leserschaft.

Sie blicken auf jahrelange Erfahrung im Verlagswesen zurück. Können Sie im Rückblick, aber auch mit Blick auf die Zukunft, einschätzen, wie sich die kulturellen Unterschiede auf Dauer entwickeln werden?

Die amerikanische Gesellschaft ist so groß und vielfältig, dass es nicht die "eine" Entwicklung geben wird. Kalifornien ist nicht New York, ist nicht Michigan, ist nicht Texas. Es gibt viel stärkere regionale Unterschiede. In den Ballungszentren, in den Großstädten wird es meiner Meinung nach zu einer Angleichung mit den europäischen Ballungszentren kommen. Natürlich wird es unterschiedliche Strömungen geben, aber die Globalisierung der Welt ist nicht zurückzudrehen - egal was President-Elect Trump meint.

Eine letzte Frage: Welches Magazin würden Sie mitnehmen, wenn Sie auf einer einsamen Insel gestrandet wären?

Eine Ausgabe von Twen (Willy Fleckhaus).

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