Prof. Dr. Joachim Gardemann
Prof. Dr. Joachim Gardemann leitet das Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe an der FH Münster. Der 63-jährige Hochschullehrer und Kinderarzt war in den vergangenen 25 Jahren wiederholt für das Rote Kreuz in internationalen humanitären Hilfseinsätzen. (Foto: FH Münster/Wilfried Gerharz)

Münster, 24. April 2019 | Um die Masern-Impfpflicht ist eine Debatte entbrannt, seitdem sich Berichte über spektakuläre Ausbrüche der hochansteckenden Infektionskrankheit mehren.

Vorbeugen, schützen, impfen - unter dieser Devise steht die Europäische Impfwoche vom 24. bis 30. April. Das Thema wird uns darüber hinaus erhaltenbleiben. Mit Prof. Dr. Joachim Gardemann haben wir über die Bedeutung des Impfens gesprochen. Der Hochschullehrer vom Fachbereich Oecotrophologie · Facility Management der FH Münster ist Kinderarzt und Leiter des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe.

 

Herr Prof. Gardemann, warum brechen Masern und andere Infektionskrankheiten, die mit Impfungen unter Kontrolle zu bekommen wären, wieder vermehrt aus?

Da gibt es viele Ursachen. Eine ist der Zusammenbruch der Infrastruktur, zum Beispiel bei Krieg oder Katastrophen. Das haben wir in Syrien gesehen, eigentlich ein Land mit einer relativ guten medizinischen Versorgung. Vor einigen Jahren ist es dort zu einem erneuten Ausbruch der Kinderlähmung, der Polio, gekommen. Bei den Masern ist das auch so. Klar, in Ländern wie jetzt im Jemen oder im Sudan gibt es jetzt auch wieder Fälle, eben weil das Gesundheitswesen nicht mehr in der Lage ist, Impfungen anzubieten.

Bei uns ist der wichtigste Aspekt die Ablehnung von Impfungen. Die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, hat die Impfgegnerschaft in die Liste der zehn gefährlichsten weltweiten Bedrohungen für die Gesundheit im Jahr 2019 aufgenommen - unter anderem zusammen mit HIV und Ebola.

 

Wäre dann eine Impfpflicht, wie sie derzeit diskutiert wird, nicht sinnvoll?

Im Infektionsschutzgesetz steht ausdrücklich, dass die Behörden im erforderlichen Falle eine Impfpflicht anordnen können. Das gab es schon mal, zum Beispiel die Pockenimpfpflicht bis in die Siebzigerjahre hinein. Persönlich sehe ich eine Impfpflicht als allerletzte Maßnahme, weil erfahrungsgemäß so etwas mit ganz großem Aufwand verbunden ist. Da wird es Gerichtsverfahren geben, da werden Eltern dagegen klagen. Ich setze vielmehr auf eine seriöse, wissenschaftliche Aufklärung.

 

Was sagen Sie Menschen, die Impfungen trotz aller Empfehlungen infrage stellen?

Wenn wir als Beispiel die Impfung bei Masern nehmen: Bei den echt durchgemachten Masern ist das Risiko, zu sterben oder eine dauerhafte Gehirnschädigung davonzutragen, etwa eins zu 1.000. Das Risiko, bei einer Impfung gegen Masern einen bleibenden Schaden zu erleiden, liegt im Bereich von eins zu Millionen. Das ist ein einfaches Rechenexempel, dass eine Impfung gegen Masern um viele Zehnerpotenzen sicherer ist als das Durchmachen dieser Krankheit.

Impfstoffe sind inaktivierte Erreger oder Bruchstücke von Erregern, die das eigene Immunsystem dazu anregen sollen, Abwehrkräfte zu bilden. Masern bekämpft man durch Masern, wenn man so will. Impfungen sind daher eigentlich sogar homöopathische Medizin. Similia similibus curantur, Ähnliches wird mit Ähnlichem behandelt. So hat Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, das Prinzip formuliert. Warum dennoch viele Heilpraktiker gegen das Impfen sind, hat historische Gründe.

Wer sich informieren will, findet zum Beispiel bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, bei der Ständigen Impfkommission, kurz STIKO, und bei der WHO zuverlässige Aussagen.

 

Sie sagen, Impfen ist ein solidarischer Akt. Können Sie das bitte erläutern?

Erreger werden ja weltweit exportiert, durch Reisen vor allem. Masern sind eine sogenannte fliegende Infektion, das heißt, sie sind hochansteckend wie die Windpocken auch. Die heißen so, weil sie über mehrere Meter mit dem Wind weitergetragen werden. Solche Krankheiten sind viel ansteckender als Ebola etwa. Wenn man in Europa sich selbst und sein eigenes Kind impfen lässt, vermindert man die Viruspräsenz in der Welt. Das ist mir ein sehr wichtiger Punkt. Bekommen unterernährte Kinder in Syrien oder im Jemen zusätzlich auch noch die Masern, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie daran sterben. Der Verlauf von Infektionskrankheiten hängt viel vom allgemeinen Gesundheitszustand und den Umständen ab.

Im Jahr 2017 sind weltweit noch 110.000 Kinder an den Masern gestorben. Seit dem Jahr 2000 konnten laut WHO andererseits 21 Millionen Leben weltweit durch die Masernimpfung gerettet werden. Wenn Infektionen nur den Menschen befallen können, wie es bei Masern und Polio der Fall ist, besteht durch Impfungen sogar die Möglichkeit einer vollkommenen Ausrottung, wie dies ja bei den Pocken bereits einmal geschehen ist.

 

Dann werfen wir einen Blick zurück auf uns. Sie erinnern sich sicherlich an die Kampagne "Deutschland sucht den Impfpass". Was tun, wenn ich keinen Überblick über meinen Impfschutz oder den meiner Kinder habe?

Der Impfpass ist ein wichtiges Dokument, das man sicher verwahren sollte. Fehlt der Impfpass, besteht die Möglichkeit, beim behandelnden Hausarzt oder Kinderarzt nachzufragen, welche Impfungen bereits gemacht worden sind. Falls das wegfällt, kann man über einen Bluttest die Antikörper bestimmen lassen. Das ist sehr aufwendig und sehr kostenintensiv.

Die generelle Regel der Weltgesundheitsorganisation heißt: Falls keine Dokumentation mehr existiert, sollte man von Ungeimpftheit ausgehen. Man kann einen Menschen dann neu impfen. Selbst eine zusätzliche oder mehrfache Impfung ist mit keinem erhöhten Risiko verbunden.

Ich bin selbst mehrfach während meiner Hilfseinsätze in Krisengebieten gewesen, dort haben die Menschen oft keine Dokumente mehr. Um dann beispielsweise eine Masernepidemie zu vermeiden, werden alle Kinder einer Altersgruppe geimpft. Da können schon geimpfte Kinder dabei sein oder solche, die die Masern schon hatten, das schadet überhaupt nichts.

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