Hannah Reustle leitet im Forschungsprojekt die Gruppendiskussionen zu Aneignungs- und Entfremdungserfahrungen im Arbeitskontext. (Foto: privat)
Ihr Kollege Felix Nickel führt qualitative Interviews sowohl mit Beschäftigten der klassischen Dienstleistungsökonomie als auch der digitalen Ökonomie durch und wertet diese aus. (Foto: privat)

Wie lässt sich das klassische Konzept der "Entfremdung" in Zeiten der Digitalisierung von Arbeit aktualisieren und empirisch erforschen? Dies untersucht das Projekt "Digitale Entfremdung und Aneignung von Arbeit", gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Geleitet wird es gemeinsam von Prof. Dr. Oliver Nachtwey, Universität Basel, und Prof. Dr. Friedericke Hardering, die bei uns seit Beginn des aktuellen Wintersemesters das Lehr- und Forschungsgebiet "Sozialer Wandel in der digitalisierten Gesellschaft" vertritt. Mit dem Umzug des Projektes von der Goethe-Universität Frankfurt ist im September auch Felix Nickel an die FH Münster gekommen.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter kümmert er sich im Projekt vor allem um qualitative Interviews mit sogenannten geringqualifizierten Beschäftigten. Diese führt er einerseits mit Angestellten der klassischen Dienstleistungsökonomie - konkret mit Einzelhandelsbeschäftigten. Gerade die zunehmende Verbindung von stationärem und Onlinehandel sowie eine vertiefte Digitalisierung von Lagerhaltung und Verkauf sorgen für eine immer stärkere Durchdringung der Arbeitstätigkeiten mit digitalen Technologien. Andererseits befragt er auch Beschäftigte der digitalen Ökonomie. Hier stehen die Arbeitserfahrungen von Content-Moderator*innen, die Inhalte auf Online-Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram sichten und gegebenenfalls löschen, im Fokus. "Vorläufig lässt sich die Tendenz erkennen, dass bei geringqualifizierter Beschäftigung sowohl Kontrollerfahrungen und eine Intensivierung der Arbeit zu Entfremdungserfahrungen führen", so der 32-Jährige.

Im Arbeitsfeld der Content-Moderation, werde zudem klar, dass Beschäftigte dort nicht nur an enger Kontrolle und hoher Arbeitsdichte leiden, sondern auch am Inhalt ihrer Arbeit. "Diese Menschen sind quasi die digitale Müllabfuhr und tagtäglich mit Gewalt- und Hassinhalten konfrontiert. Das scheint zumindest bei einigen dazu zu führen, dass sie sich von der Menschheit entfremden und den Glauben an das Gute im Menschen verlieren", berichtet der Arbeitsforscher. Dies seien jedoch nur vorläufige Ergebnisse, deren Gehalt in der weiteren Arbeit geprüft werde, so Nickel. "Nachdem wir im ersten Projektjahr vor allem die theoretischen Grundlagen gelegt haben, sind wir gerade vor allem mit der empirischen Erhebung und ersten Analyseschritten beschäftigt".

Nickel hat an der Freien Universität Berlin einen Bachelor in Politikwissenschaft absolviert und anschließend an der Universität Kassel seinen Master im internationalen Studiengang "Global Political Economy" gemacht. In seiner Masterarbeit hat er in einer Feldforschung Autonomie- und Kontrollerfahrungen von serbischen Onlinearbeiter*innen im Bereich Suchmaschinenoptimierung erforscht.

Seine Kollegin Hannah Reustle ist im November zum Projektteam gestoßen und arbeitet seitdem an unserem Fachbereich. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin führt Gruppendiskussionen durch - ebenfalls sowohl mit Vertreter*innen der klassischen Dienstleistungsökonomie als auch mit Vertreter*innen der digitalen Ökonomie - und wertet diese aus. "Dadurch möchten wir herausfinden, welche spezifischen Aneignungs- beziehungsweise Entfremdungserfahrungen die Teilnehmer*innen bei ihrer Arbeit machen und welche Herausforderungen damit womöglich verbunden sind", erläutert die 28-Jährige.

Reustle erlangte ihren Bachelorabschluss in "International Development" an der Universität Lund in Schweden, studierte Soziologie und Anthropologie an der Universidade Federal do Rio Grande do Sul in Brasilien und absolvierte ihren Master in Soziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Außerdem ist sie als systemische Beraterin ausgebildet. Genau wie ihr Kollege Nickel, schließt sie es nicht aus, sich künftig in der Lehre unsers Fachbereichs zu engagieren.

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