Projektdetails

Titel Wärmenetze 4.0 - In de Brinke
Laufzeit 01.03.2022 - 28.02.2026
Förderprogramm Wärmenetze 4.0 (Modul IV)
Gefördert durch Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle 

Kalte Nahwärme im Planungsprozess

Je früher die Belange der Energieversorgung eines zu beplanenden Gebietes berücksichtigt werden desto größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten. Gerade vor dem Hintergrund der sich stetig verschärfenden (energetischen) Anforderungen an Neubauten haben wir einen Praxisleitfaden erstellt, der Kommunen und Stadtwerken den Einstieg in die Planung erleichtern soll.

Wie funktionieren kalte Nahwärmenetze?

Um kalte Nahwärmenetze zu verstehen, lohnt es sich zuerst einen Blick auf die Funktionsweise von Wärmepumpen zu werfen. Diese nutzen denselben Prozess wie Kühlschränke. Während Kühlschranke jedoch dem Innenraum Wärme entziehen und an die Umwelt abgeben, entziehen Wärmepumpen der Umwelt Wärme, erhöhen elektrisch die Temperatur und geben diese Wärme an die Räume eines Hauses ab. Wichtige Kennzahlen von Wärmepumpen sind die die Leistungszahl, auch "Coefficient of Performance" (COP) genannt, und Jahresarbeitszahl (JAZ). Beide beschreiben das Verhältnis von transportierter Wärme zu eingesetzter elektrischer Energie.

  • Der COP ist eine Momentaufnahme des Betriebs unter definierten und gleichbleibenden Bedingungen. Eine Wärmepumpe, die 10 Kilowatt (kW) elektrische Leistung aufnimmt und 45 kW Wärmeleistung abgibt, hat also einen COP von 4,5.
  • Die JAZ ist abhängig vom COP und beschriebt das Verhältnis von erzeugter Wärmemenge zu benötigter elektrischer Energie über ein ganzes Jahr. Die JAZ umfasst nicht nur die Wärmepumpe, sondern das gesamte Heizungssystem. Der COP-Wert eignet sich daher für einen wirtschaftlichen Vergleich von Wärmepumpen und die JAZ für die praktische Bewertung der Energieeffizienz der installierten Heizungsanlage. Die JAZ sollte möglichst größer als drei sein, demnach bei einem Bedarf von z.B. 10.000 kWh elektrischer Energie mindestens 30.000 kWh Wärmeenergie bereitstellen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei dem Betrieb kalter Nahwärmenetze ist die Heizungstechnik. Die übertragene Wärmeleistung wird in der Physik von zwei Dingen beeinflusst, nämlich der Fläche und der Temperaturdifferenz des Heizkörpers zur Umgebung. Da man nun in modernen Gebäuden immer mehr zu Flächenheizungen greift, kann die Vorlauftemperatur, also die Temperatur, mit der das Heizwasser in den Heizkörper eintritt, von ca. 80 °C auf 35 °C reduziert werden. Somit kann das für die Wärmepumpe zu erreichende Temperaturniveau abgesenkt werden. Dadurch wird weniger elektrische Energie benötigt und die Effizienz des Heizprozesses gesteigert.

Somit fehlt nur noch die Wärmequelle, die die Wärme an die Pumpe liefert. Diese Lücke schließt dann das kalte Nahwärmenetz.

Bei herkömmlichen Luft-Wasser-Wärmepumpen wird der Umgebungsluft Wärme entzogen. Da die Außentemperaturen vor allem im Winter am niedrigsten sind, wenn der Wärmebedarf am höchsten ist, sinkt die Effizienz dieses Systems.

Sole-Wasser Wärmepumpen entziehen die Wärme einer durch z.B. Geothermie aufgewärmten Sole-Wasser Mischung, dessen Temperatur meist in einem Rahmen von 5 °C - 40 °C liegt. Die Wärme wird bei beiden Varianten an den Heizwasser-Kreislauf übertragen. Als Wärmequellen gibt es mehrere Möglichkeiten. Erdwärmesonden und Erdwärmekollektoren sind am meisten Implementiert. Die Erdwärmesonden gehen bis zu 170 Meter tief in den Boden. Oberflächenkollektoren werden meistens über große Flächen in einer Tiefe von 1,5 bis 2 Metern unter Freiflächen verlegt. Allerdings sind auch andere Wärmequellen wie Rechenzentren, Regenrückhaltebecken, warmes Wasser in Abwasserkanälen oder Industrieabwärme nutzbar. Typische Vorlauftemperaturen für kalte Nahwärmenetze liegen meist über das ganze Jahr bei ca. 12 °C. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit, das Netz im Sommer als Wärmesenke zu nutzen und Gebäude zu kühlen. Dies erlaubt auch eine Regeneration der Wärmequellen für den nächsten Winter. Aufgrund der niedrigen Temperaturen müssen die Netze nicht isoliert werden und der Boden wird als zusätzlicher Speicher genutzt.

Ein typischer Aufbau eines kalten Nahwärmenetzes ist ein zentral betriebenes Netz, welches über eine Verteilerstation die vorgewärmte Sole an die Haushalte verteilt. In den Häusern entziehen dezentral installierte Wärmepumpen der Sole die Wärme und übertragen diese auf die Wasserkreisläufe.

Wieso brauchen wir kalte Nahwärme?

Aus dem Gebäudereport der deutschen Energieagentur aus dem Jahr 2022 geht hervor, dass private Haushalte die drittgrößten Endenergieverbraucher in Deutschland im Jahr 2019 waren (Abbildung 1). Unter Endenergie versteht man nutzbare Energie nach Abzug der Umwandlungsverluste.  Etwa 84 % des Endenergieverbrauchs der privaten Haushalte wurde zur Beheizung von Räumen und für Warmwasser aufgewendet (Abbildung 2). Hieraus ergibt sich, dass insgesamt ca. 23 % der verbrauchten Endenergie in Deutschland ausschließlich zur Beheizung von Wohngebäuden und für Warmwasser benötigt wurden. Der Endenergieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser ist zwar seit 1996 um 24 % gesunken, jedoch sind nur 18 % dieser Einsparungen den Wohngebäuden zuzuordnen (Abbildung 3).

Über 82 % der Endenergie für die Wärmeerzeugung in Wohngebäuden stammt heute noch aus fossilen Brennstoffen und trägt damit maßgeblich zur Emission von Treibhausgasen bei (Abbildung 4).  Zur Dekarbonisierung des Wärmesektors wird im Rahmen der Sektorenkopplung Energie aus anderen Bereichen, z.B. industrielle Abwärme, genutzt und zudem die Energieeffizienz erhöht. Um industrielle Abwärme zu nutzen und so die Wärmeverluste zu reduzieren, wird die Fernwärme kontinuierlich ausgebaut. Das Temperaturniveau dieser Netze ist oft schon hoch genug, um direkt zum Heizen genutzt zu werden. Diese Art der Wärmenutzung zählt man auch zu den Wärmenetzen der 4. Generation. Jedoch sind diese Netze auch oftmals auf fossile Brennstoffe angewiesen und die Wärmeverluste beim Transport müssen mit aufwändigen Wärmedämmungen reduziert werden.

Als geeignete Alternative stellten sich die kalten Nahwärmenetze heraus, auch als Wärmenetze der 5. Generation, Anergienetze oder LowEx-Wärmenetze bezeichnet. Sie ermöglichen durch den Einsatz von Oberflächen Geothermie und Wärmepumpen eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und Wärmequellen mit Temperaturen über 80 °C. Dies hat auch das Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle erkannt und fördert den Ausbau über die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW).

Wo werden kalte Nahwärmenetze schon eingesetzt?

Der Ausbau von Wärmenetzen nimmt weltweit als auch in Deutschland immer weiter zu. Allein in Deutschland gibt es aktuell über 70 Projekte, die bereits realisiert wurden oder sich in der Umsetzung befinden. Besonders Neubaugebiete im kommunalen Raum werden zunehmend mit kalten Nahwärmenetzen ausgestattet, allerdings gibt es auch ganze Quartiere und Industriegebiete, die damit versorgt werden sollen. Zu den Betreibern solcher Netze zählen sowohl Stadtwerke als auch Bürgerschaften und Kommunen selbst. Da es sich nur um oberflächennahe Geothermie handelt, gibt es keine große Abhängigkeit von geologischen Besonderheiten. Die Installationsgebiete erstrecken sich daher über die gesamte Bundesrepublik. Manche Stadtwerke haben eine Vorreiterrolle eingenommen, wodurch besonders in Schleswig-Holstein eine Vielzahl von Projekten entstanden sind. 

Eine Übersicht über realisierte und geplante Projekte bietet unsere Karte:

Wie können erneuerbare Energien in kalte Nahwärmenetze integriert werden?

Sowohl der elektrische Strom, als auch die Wärme kann für kalte Nahwärmenetze aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Bei vielen aktuell umgesetzten Projekten werden auf den Dächern der Gebäude Photovoltaikanlagen installiert und implementiert, wodurch ein Anteil des Stromverbrauchs der Wärmepumpen abgedeckt wird. Zudem ist die Nutzung von Solarthermie möglich, jedoch aus Kostengründen seltener umgesetzt wird. Weitere Wärmequellen sind beispielsweise auch Biogasanlagen oder Hackschnitzelöfen.

Welche Wärmequellen sind in Deutschland die am meisten erschlossenen Wärmequellen?

Die dominant verbauten Wärmequellen in Deutschland sind Erdwärmesonden und Erdwärmekollektoren. Bei 71 untersuchten Projekten wurden 23 Erdwärmesonden und 21 Erdwärmekollektoren verbaut. Erdwärmesonden werden meist in Form eines Feldes von bis über 100 Sonden installiert. Dabei schwanken die Bohrtiefen zwischen Werten von 60 bis 180 Metern. Erdwärmekollektoren hingegen werden unter großen Freiflächen in einer Tiefe von 1,5 -2,5 Metern horizontal verlegt. Allerdings gibt es mittlerweile auch die Möglichkeit Erdwärmekollektoren vertikal zu verlegen, was zu erheblichen Erleichterungen bei der Installation führen kann.

Lässt sich jedes Haus mit kalter Nahwärme versorgen?

Bisher handelt es sich bei den meisten Projekten, bei denen kalte Nahwärme eingebaut wurde, um Neubaugebiete. In der Theorie lässt sich technisch jedes Haus mit einem geeignetem eingebautem Heizungssystem auch mit kalter Nahwärme versorgen. Vielmehr spielt hier die Frage der Wirtschaftlichkeit eine entscheidende Rolle. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass besonders effiziente Neubauten von Förderungen profitieren können und somit auch profitabler ausgelegt werden können.

Was haben wir uns zur Aufgabe gemacht?

Die Technologie der kalten Nahwärmenetze existiert mittlerweile schon seit fast 50 Jahren, dennoch nimmt die Umsetzung in der Praxis gerade erst an Fahrt auf. Wie mit jeder anderen Technologie auch müssen noch weitere Erkenntnisse gewonnen werden, um den bestmöglichen Betrieb solcher Anlagen gewährleiten zu können.

Aus diesem Grund hat sich die FH Münster mit der Warendorfer Energieversorgung GmbH (WEV) zusammengetan und diese Lücken zu schließen. Dabei ist das Hauptstichwort unserer Aufgabe das sogenannte "Capacity Building". Dabei geht es darum, anhand der vorhandenen Fachliteratur sowie Betreiberbefragungen den aktuellen Stand der Technik zu erfassen und einfach zugänglich zu machen. Um wichtige Erkenntnisse aus der Praxis zu gewinnen, begleitet die FH Münster das Neubauprojekt "In de Brinke" wissenschaftlich und lässt die gewonnenen Erkenntnisse in unsere Ergebnisse mit einfließen.

Diese Website dient dazu, das gesammelte Wissen möglichst allen Interessierten zugänglich zu machen und somit einen Beitrag zur Erreichung der Klima- und Energieziele der europäischen Union zu leisten.

Zur Verbreitung der Forschungserkenntnisse trägt zudem die Teilnahme und Präsentation auf Fachtagungen bei. Unter Anderem wurde das Projekt In de Brinke auf der 9th International Conference on Smart Energy Systems 2023 in Kopenhagen vorgestellt:

Präsentation von In de Brinke auf der 9th International Conference on Smart Energy Systems

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